Guideline

Harninkontinenz der Frau

Erstellt von: Mariele Keller Zuletzt revidiert: 04/2023 Letzte Änderung: 04/2023

1. Das Wichtigste in Kürze

  1. Für eine wirkungsvolle Inkontinenzbehandlung ist es wichtig, eine genaue Diagnose zu stellen (Belastungs-, Dranginkontinenz, Überlaufblase sind die häufigsten Inkontinenzformen)
  2. Bei allen Inkontinenzformen besteht die Basistherapie postmenopausaler Frauen in einer lokalen Östrogenisierung, wenn keine onkologische Kontraindikation besteht
  3. Beckenbodentraining ist nie falsch
  4. Bei eindeutiger Dranginkontinenz (OAB wet) kann ein Anticholinergikum (z. B. Trospium, Solifenacin oder Mirabegron) versucht werden
  5. Bei ungenügender Wirksamkeit der Primärtherapie oder in komplexen Situationen erfolgt eine Überweisung zur Spezialistin.

 

2. Epidemiologie

  • Harninkontinenz stellt ein gravierendes Gesundheitsproblem mit physischen, psychischen und sozialen Folgen dar, die zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Betroffenen führen können (1)
  • Die Prävalenz ist nicht sicher bestimmbar, da eine erhebliche Dunkelziffer nicht erfasst wird. Internationale Studien weisen eine Prävalenz von 4 bis 44 % aus (Mittel: 23 %). Daten aus der Schweiz: Knapp jede fünfte Person ist im Alter von Harninkontinenz betroffen (17 %), Frauen häufiger als Männer, der Anteil steigt mit zunehmendem Alter, in Pflegeheimen ist die Prävalenz am höchsten (Quelle: Schweizerische Gesundheitsbefragung (SGB) 2012; in: Bundesamt für Statistik BFS, 2014)
  • Die verschiedenen urogynäkologischen Krankheitsbilder mit Harninkontinenz treten in typischen Alterssegmenten auf
    • Enuresis nocturna bei Kindern
    • Blasenentzündungen und Reizblasenbeschwerden mit Beginn der sexuellen Aktivität und nach den Wechseljahren
    • Belastungsinkontinenz im Zusammenhang mit Schwangerschaften und Geburten
    • Alle Inkontinenzformen nehmen nach den Wechseljahren zu.

 

3. Diagnostik

Anamnese

Eine gründliche Anamnese ist wichtig. Sie sollte folgende Aspekte umfassen

  • Art, Auslösemechanismen, Zeitpunkt und Ausmass des Urinverlusts sowie zusätzliche Miktions- und auch Defäkationsprobleme
  • Belastungs-, Drang-, Mischharninkontinenz
  • Übergewicht
  • Lebensqualität
  • Schmerzen
  • Beschwerden nach der Miktion
  • Vorausgegangene urogynäkol. Operation
  • Geburten (Modus, Kindsgewicht, ggfls. Verletzungen)
  • Menopausenstatus
  • Harnwegsinfekte
  • Trinkgewohnheiten: wieviel, was und wann?
  • Medikamentenanamnese.

⇒ Fragevorschläge zur Erfassung bestimmter Inkontinenz-Krankheitsbilder

Bei hyperaktiver Blase (Reiz-, Urgeblase, OAB)

  • Wie oft gehen Sie tagsüber aufs WC, wie häufig nachts?

    Beachte: Korrelation mit Trinkmenge; kardiale Ursache bei Nykturie?

  • Wie lange können Sie zuwarten bei Harndrang?
  • Gibt es spezielle Triggersituationen? (z. B. Haustür, Wasserkontakt)
  • Bei welchen Aktivitäten beeinträchtigt Sie die Inkontinenz?

Bei Belastungs- (Stress-) Inkontinenz

  • In welchen Situationen verlieren Sie Urin und in welchen Mengen?
    • Beim Husten, Lachen, Niesen?
    • Beim Heben, Springen, Treppenlaufen, Tanzen?
    • Wenn Sie schnell (aufs Tram) rennen?
    • Im Stehen? Im Liegen?
  • Geburtsmodus und -traumata, Kindsgewichte
  • Besteht eine Gewebeschwäche, z. B. Varikosis?
  • Leiden Sie unter chronischem Husten oder Verstopfung?

Unterstützend können Fragebögen eingesetzt werden, z.B. der ICIQ-UI (Kurzform)

Körperliche Untersuchung

Empfehlungen zur körperlichen Untersuchung

  • Palpation Abdomen (Raumforderung?)
  • Vaginale und rektale Untersuchung*, Nativpräparat zum Ausschluss eines vaginalen Infektes

    * Hinweis: Im Zweifel an (Uro-)Gynäkologin überweisen, da die Feststellung einer Atrophie oder eines Descensus genitalis therapierelevant ist!


Blasen-Tagebuch (Miktionsprotokoll)

  • Ein Blasen-Tagebuch sollte grosszügig eingesetzt werden, auch wenn es sich anamnestisch um eine reine Belastungsinkontinenz zu handeln scheint. Das Protokoll gibt der Patientin auch die Möglichkeit, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen und eigene Erkenntnisse zu gewinnen
  • Das Blasen-Tagebuch sollte über 2–3 Tage geführt werden (bessere Aussagekraft als ein 24 h-Protokoll).

–> Link zu Miktionsprotokoll

Labor

  • Urin-Streifentest bei Symptomen, die auf einen HWI hinweisen könnten, ev. Urinsediment/Kultur zum Ausschluss von Proteinurie, Glukosurie, Mikrohämaturie, jedoch kein Screening bei Patientinnen ohne Anzeichen eines HWI.
    Hinweis: Symptomatische HWI sollen behandelt werden, eine asymptomatische Bakteriurie nicht (siehe auch mediX GL HWI).

Restharnbestimmung (2–5)

  • Gehört zu jeder Basisabklärung bei Urininkontinenz
  • Kenntnisse über Restharn sind zur Beurteilung der Inkontinenzform (Überlaufblase) und vor Einleitung einer Inkontinenztherapie wichtig, da einige Therapieoptionen die Blasenentleerung beeinträchtigen und den Restharn erhöhen und somit dem subjektiven Erfolg der Therapie konterkarieren können
    • Anticholinerge Therapie bei überaktiver Blase
    • Injektion von Botulinumtoxin in die Harnblasenwand bei überaktiver Blase
    • Operative Behandlung der Belastungsinkontinenz (suburethrale Schlinge, Kolposuspension, Faszienzügelplastik) bei Belastungsinkontinenz.
  • Bestimmungsmethode: Sonographisch sofort nach Entleerung der Blase (schon nach kurzer Wartezeit oder kurzer (Zwischen-) Anamnese kann sich die Blase wieder relevant gefüllt haben!); alternativ: Einmalkatheterisierung. Bei patholgischen Werten wiederholen. Auch grössere Blasentumoren kann man sonografisch darstellen (nur bei gefüllter Blase möglich).
    Hinweis: Standardverfahren zur Diagnose von Blasentumoren ist aber die Zystoskopie.
  • Zur Quantifizierung am genauesten ist die Flächenmessung in 2 Ebenen.

    Beachte: Es gibt keine Standarddefinition für eine pathologisch erhöhte Restharnmenge. Ein Restharn < 50 ml gilt als normal, zwischen 50 und 100 ml als Graubereich und > 100 ml als pathologisch.

 

4. Überweisung an Spezialistin

Die Diagnose und Therapie kann in vielen Fällen (zunächst) hausärztlich erfolgen. Allerdings ist eine Überweisung an eine (Uro-)Gynäkologin zur (Mit-)behandlung in folgenden Situationen erforderlich

  • Patientinnen mit begleitenden Blasen- oder Beckenschmerzen
  • Hämaturie, Mikrohämaturie
  • Rezidivierende Harnwegsinfekte
  • St. n. Beckenoperationen (inkl. Inkontinenzoperationen) oder Bestrahlung
  • Begleitender Descensus oder Prolaps
  • Bei nicht erfolgreicher konservativer hausärztlicher Basistherapie
  • Kontinuierlichem Urinverlust bei V. a. urogenitale Fistelbildung, erschwerter Miktion (Miktionsstörung), Restharnbildung sowie vermuteter oder diagnostizierter neurologischer Grunderkrankung
  • Indikationsstellung für allfällige operative Therapie.

Zur spezialärztlichen Abklärung kommen folgende Verfahren in Betracht

Urodynamische Untersuchung

  • Verfahren

    • Bei einer Urodynamikuntersuchung werden Druckmessungen in Blase, Harnröhre und Darm (Abdominaldruck) vorgenommen. Gleichzeitig wird ein EMG des Beckenbodens aufgezeichnet. Die Untersuchung ist etwas unangenehm, aber bei Einsatz eines anästhesierenden Urethralgels nicht schmerzhaft

      • Vorgehen: Zunächst erfolgt die Füllzystometrie, bei der die Blase langsam mit Kochsalzlösung gefüllt und dokumentiert wird, wann der erste, zweite und dritte Harndrang auftreten. Auch die Blasencompliance (Druckanstieg/Füllmenge) wird erfasst –> Diagnose einer hyperaktiven Blase, motorisch oder sensorisch.
        Bei gefüllter Blase werden die Urethraprofile durch Rückzug des Messkatheters durch die Urethra gemessen. Im Ruheprofil zeigt sich die intrinsische Verschlussreserve der Urethra, im Stressprofil die Verschlusssituation beim Husten.
        Anschliessend erfolgt die Miktiometrie, bei der der Urin gelöst wird. Gemessen werden Dauer bis zum Einsetzen der Miktion, Miktionsvolumen/Zeit (Stärke des Harnstrahls), Gesamtmiktionsmenge und auch ob mehrmaliges Ansetzen zur Blasenentleerung erforderlich ist.

  • Indikationen
    • Bei Unklarheiten bzgl. der Symptomatik oder der Pathophysiologie in der Diagnosestellung
    • Bei Therapieversagen von Anticholinergika in der Behandlung der Dranginkontinenz
    • Vor einem geplanten operativen Eingriff
    • Grosszügig bei Rezidivinkontinenz
  • Generell soll eine urodynamische Untersuchung nur durchgeführt werden, wenn aus den Ergebnissen eine therapeutische Konsequenz zu erwarten ist.

    Beachte: Die klinische Symptomatik korreliert nicht zwingend mit den urodynamischen Befunden (6) (s. a. NICE Guideline 2019), und auch die Reproduzierbarkeit ist problematisch (7). Die urodynamischen Ergebnisse müssen daher immer auf Plausibilität überprüft werden.

    Wichtig: Vor jeder urodynamischen Untersuchung sollte ein orientierender Urinstatus zum Ausschluss einer Harnwegsinfektion erhoben und eine ggfls. nachgewiesene Infektion zunächst behandelt werden.

Perineal-Sonographie

  • Bildgebendes Verfahren bei Belastungsinkontinenz (Hypermobilität vom Blasenhals und Verstreichen des Retrovesikalwinkels werden beurteilt) und Descensus genitalis
  • Biofeedbackverfahren zur Visualisierung der Beckenbodenfunktion für die Patientin.

Urethrozystoskopie

  • Hyperaktive Blase: Tumorausschluss
  • Mikro-/Makrohämaturieabklärung
  • Bei (chronisch) rezidivierenden HWI.

Röntgen/MRI

  • Nur bei spezieller Indikation.

 

5. Therapie

5.1. Konservative Behandlungsverfahren (Basistherapie)

⇒ Immer zuerst versuchen. Patientinnen vorher über die verschiedenen Behandlungsoptionen informieren

⇒ Patientinnen mit Belastungsinkontinenz –> Beckenbodentraining, lokale Östrogenisierung (bei postmenopausalen Patientinnen) und/oder Pessartherapie* (Inkontinenzpessare). Wenn damit innert drei bis sechs Monaten keine Heilung oder Besserung eintritt –> Beurteilung durch Spezialistin empfohlen

* Die Anpassung eines Pessars sollte vorzugsweise bei der Urogynäkologin erfolgen, die Weiterbetreuung bei Hausarzt/Gynäkologin; in Pflegeheimen können die Pessarwechsel vom Pflegepersonal vorgenommen werden.

⇒ Patientinnen mit hyperaktiver Blase –> lokale Östrogenisierung, Blasentraining, Beckenbodentraining und bei eindeutiger anamnestischer Einordnung und Vorliegen eines Miktionstagebuchs medikamentöser Therapieversuch mit Anticholinergika, Sympathikomimetika (immer vorher Restharnbestimmung)

⇒ Bei Patientinnen mit Mischharninkontinenz sollte die klinisch dominante Inkontinenzform als erstes behandelt werden.

Behandlung von Grunderkrankungen

  • Diabetes mellitus (Reizblase, rezidivierende HWI)
  • Herzinsuffizienz mit nächtlicher Inkontinenz/Nykturie
  • Multiple Sklerose oder M. Parkinson (Blasenentleerungsstörungen, Reizblase, rez. HWI).

Lifestyle-Massnahmen

  • Körpergewicht reduzieren: Gewichtreduktion von 5–10 % reduziert Inkontinenzfrequenz um 50 %
  • Koffein- und Teeinkonsum (Kaffee, Schwarztee, Grüntee, Energydrinks, Cola, Eistee) sowie Alkohol und unverdünnte Fruchtsäfte reduzieren: Hilft bei imperativem Harndrang und Pollakisurie, hat jedoch keinen Einfluss auf Belastungsinkontinenz
  • Kohlensäurehaltige Getränke reduzieren, z. B. auf Leitungswasser umstellen
  • Flüssigkeitszufuhr normalisieren: Empfehlung ca. 2 l, mehr als 3 l sind problematisch, weniger als 1 l auch.

Inkontinenzvorlagen

  • Inkontinenzvorlagen und andere Hilfsmittel können hilfreich sein. Für Frauen mit leichter Harninkontinenz scheinen Einweg-Vorlagen (innerhalb waschbarer Pants) am besten geeignet (8)
  • Bei mittlerer/schwerer Inkontinenz sind Inkontinenzhosen für Frauen vorteilhafter.
    Wichtig: Die Kosten der Einwegmaterialien sind hoch. Ärztliche Verordnung von Inkontinenzhilfen können von den Patientinnen bei KK eingereicht werden
  • Kostenübernahme durch OKP
    • Mittlere Inkontinenz: Urinverlust > 100-200 ml/4h.
      Dranginkontinenz oder gemischte Inkontinenz: Abgang von mittleren bis grösseren Urinmengen in unregelmässigen Abständen bei Belastung und starkem Harndrang mit nicht mehr beherrschbarem Urinabgang (pro Jahr CHF 542.00)

    • Schwere Inkontinenz: Urinverlust > 200 ml/4h.
      Dranginkontinenz oder Reflexinkontinenz (neurogen, pathologischer spinaler Reflex ohne Gefühl von Harndrang): Plötzliche und vollständige Blasenentleerung mit grossen Urinmengen (pro Jahr CHF 1‘108.00)

    • Totale Inkontinenz
      Unkontrollierter, dauernder Urin- und Stuhlabgang (pro Jahr CHF 1‘579.00).

Blasen- und Beckenbodentraining, PTNS, Elektrostimulation (1)

Blasentraining (BT)

  • Hilft, den unzeitgemässen Harndrang zu kontrollieren, vor allem bei Drang- und Mischinkontinenz zuerst anbieten. Kann auch gut mit Beckenbodentraining kombiniert werden
    • Ziele: Fehlerhafte Gewohnheitsmuster beim Urinieren korrigieren, Kontrolle über die Dranginkontinenz erlangen, die Entleerungsintervalle verlängern, die Blasenkapazität vergrössern, Inkontinenzvorfälle reduzieren und das Vertrauen der Patientinnen in ihre Fähigkeit stärken, sodass sie ihre Blasenfunktion selbst kontrollieren können
    • Inhalte: Trinktraining: 2 l Ausscheidung anstreben; Reduktion koffeinhaltiger Getränke, Alkohol, Kohlensäure; Blasendrill: Aktives Hinauszögern der Miktion durch Ablenkungsmanöver und Beckenbodeneinsatz.

Beckenbodentraining (BBT)

  • BBT wirkt bei Belastungsinkontinenz, Mischharninkontinenz und Dranginkontinenz/
    Reizblase
    .

    Hinweise
    Entscheidend ist, ob die Patientin ihren BB prompt und korrekt ohne Einsatz von Hilfsmuskeln anspannen kann. In diesem Fall kann man sie für ein Selbsttraining zu Hause instruieren
    Ziel ist es, dass sich die Patientin im Alltag Erinnerungstrigger schafft und den BB sowohl kurz und kräftig als auch über 10 sec anspannen kann. Wenn eine Patientin keine korrekte BB-Anspannung durchführen kann (mindestens Oxford-Skala 3), qualifiziert sie für ein physiotherapeutisches BB-Training
    Das Training soll über mindestens 3 Monate durchgeführt werden und sowohl die slow-twitch-Fasern (für den Grundtonus) als auch die fast-twitch-Fasern für den Einsatz beim Husten, Lachen, Niesen, Heben etc. trainieren.

Perkutane tibiale Nervenstimulation (PTNS)

  • PTNS ist eine Neuromodulationstherapie bei überaktiver Blase. Durch intermittierende elektrische Stimulation des N. tibialis, der auf der gleichen Höhe im Rückenmark (S2–S4) wie das sakrale Miktionszentrum umgeschaltet wird, erfolgt eine Hemmung der überaktiven parasympathischen Nerven und in der Folge der Detrusoraktivität. Die PTNS wird vorzugsweise mit einem Heimtrainingsgerät durchgeführt und benötigt einen Zeitaufwand von 30 Minuten/Tag. Erfolgsraten nach 12 Wochen: durchschnittlich 60 %.

Elektrostimulation

  • Elektrostimulation kommt zur Anwendung, wenn eine Patientin keine willkürliche koordinierte BB-Kontraktion ausführen kann. Dazu wird eine Sonde vaginal oder anal eingeführt und so der BB zunächst über die elektrische Stimulation angesteuert. Nach und nach übernimmt die Patientin die aktive Muskelanspannung
  • Ev. elektromagnetische Stimulation (EXMI = extrakorporale Magnetfeldstimulation) zur Behandlung von Harninkontinenz oder überaktiver Blase. Dieses Verfahren wird nur in sehr spezialisierten Einrichtungen angeboten.

Pessartherapie (bei Urogynäkologin) (9–11)

  • Inkontinenzpessare sind geeignet für Frauen, die nur bei situativer körperlicher Belastung inkontinent sind, z. B. beim Joggen, Trampolinspringen, Tanzen etc. Die flügelförmigen Einmal-Pessare stabilisieren die Urethra und erhöhen den urethralen Widerstand. Sie können bis 16 Stunden in situ belassen werden
  • Die Pessartherapie verbessert die Lebensqualität und die Kontinenzrate der Betroffenen signifikant.
    Vorteile: Seltene Nebenwirkungen, Nachteil: Die Inkontinenzpessare sind für viele Patientinnen schwierig in der Anwendung; Kosten: Einmalpessare CHF 4.50–9.50
  • Direkte Vergleichsstudien mit anderen Verfahren liegen nicht vor (1).

Laser (bei Urologin/Urogynäkologin)

  • Die intravaginale Lasertherapie kann ev. in ausgewählten Fällen zur Behandlung der genitalen Atrophie bei Kontraindikationen für oder Abneigung gegen die lokale intravaginale Östrogenisierung und bei leichter und mittlerer Belastungsinkontinenz angeboten werden (–> Indikation Urologin). Eine aktuelle randomisierte Studie mit Sham-Kontrolle konnte die Wirksamkeit des Verfahrens jedoch nicht bestätigen. An der Studie nahmen 101 Frauen mit Belastungsinkontinenz im Alter zwischen 34 und 79 Jahren teil (14). Die Lasertherapie ist keine Kassenleistung
  • Die Nebenwirkungen der Laserbehandlung sind gering in der Hand von Geübten mit Fähigkeitsnachweis. Komplikationen sind in den meisten Fällen auf Anwendungs- und Bedienungsfehler zurückzuführen (1).

 

5.2. Medikamentöse Therapie

⇒ Eine vaginale Östriolgabe wird bei postmenopausalen Frauen mit Harninkontinenz und vulvo-vaginaler Atrophie empfohlen. Wichtig: Langfristige Anwendung!

⇒ Anticholinergika und das Sympathomimetikum Mirabegron sind effektiv zur Behandlung einer überaktiven Blase und Dranginkontinenz

⇒ Duloxetin kann eine Belastungsinkontinenz lindern, allerdings ist die Nebenwirkungsrate hoch, nur ausnahmsweise indiziert (–> Spezialist)

⇒ Nykturie: Wichtig, anhand des Miktionstagebuches abzuklären, ob die Nykturie Folge erhöhter abendlicher Trinkmenge ist. Bei Herzinsuffizienzpatientinnen ggfls. diuretische Therapie am Tag verbessern

⇒ Als pflanzliches Präparat zur Behandlung der Reizblase ist Bryophyllum gut dokumentiert (15). Es wird auch zur Behandlung von vorzeitigen Wehen eingesetzt. Die Dosierung ist 4 x 2 Kautabletten/Tag (Weleda Bryophyllum®). Für andere komplementärmedizinische Therapien liegt kein hinreichender Wirksamkeitsnachweis vor.

 

Lokale Hormontherapie (12–13)

  • Wirksamkeit: Die lokale Östriolapplikation wirkt durch die Verbesserung der Durchblutung, Elastizität und auch Dicke der Schleimhäute und deren Lubrifikation. Sie stellt die Basistherapie bei hyperaktiver Blase, Dranginkontinenz, rezidivierenden Harnwegsinfekten und Descensusproblematik dar und sollte als Dauertherapie durchgeführt werden. Darum ist es wichtig, eine für die Patientin passende Applikationsform zu finden. Auch hier muss man manchmal verschiedene Präparate ausprobieren lassen
  • Zu beachten ist die unterschiedliche Hormonkonzentrationen der verschiedenen Präparate (s. Tabelle 1). Mammakarzinom ist eine Kontraindikation. Es kann im Einzelfall aber eine Behandlung in niedrigster Dosierung mit Urogynäkologen und Onkologen diskutiert werden
  • Dosierung: Lokale Östrogene werden 2 x wöchentlich vaginal appliziert.

    Hinweis: Eine systemische Hormongabe (HRT) wirkt schlechter als die lokale Östriolapplikation bei Funktionsstörungen im Beckenbodenbereich und sollte durch eine lokale Östriolgabe in reduzierter Dosis ergänzt werden (1 x statt 2 x/ Woche). 

 Tabelle 1: Lokale Östrogene

 


Blasenentspannende Medikamente (Anticholinergika/Antimuskarinika und Sympathomimetika)

  • Zusätzliche medikamentöse Therapieoption bei unzureichender konservativer nicht-medikamentöser Therapie bei Erwachsenen mit überaktiver Blase oder Dranginkontinenz (s. a. Tabelle 2).

Welches Präparat für wen?

  • Ältere Patientinnen > 70 J. sind eine häufige Zielgruppe für die medikamentöse Behandlung. Wegen des Risikos einer zerebralen bzw. kognitiven Beeinträchtigung empfiehlt sich Trospium (Spasmo Urgenin Neo®) als first-line-Medikament, da dieses Medikament die Blut-Hirnschranke nicht passiert. Nachteil: Es müssen 2 Tabletten/ Tag eingenommen werden. Alternative: Darifenacin (Emselex®) oder Solifenacin (Vesicare® oder Generikum), die eine hohe M3-Rezeptorspezifität haben (Blasenwirkung), während im Hirn vorwiegend M1-Rezeptoren vorliegen
  • Kontraindikationen für Anticholinergika sind neben unbehandeltem Engwinkelglaukom und Blasenentleerungsstörungen (immer vor Therapiebeginn Restharn bestimmen!) Erkrankungen mit verminderter gastrointestinaler Mobilität (z. B. Hiatushernie, Reflux). Für weitere KI unbedingt das Arzneimittel-Compendium konsultieren!
  • Beim Sympathomimetikum Mirabegron (Betmiga®) sind Blasenentleerungsstörungen und Glaukom keine Kontraindikationen. Es kann jedoch, wie bei allen Anticholinergika auch, in manchen Fällen zu Verschlechterung einer Hypertonie kommen
  • Für jedes Medikament ist eine Interaktionsanalyse mit der bestehenden Medikation unverzichtbar
  • Als pflanzliches Präparat kann ev. Bryophyllum versucht werden. Die Therapie erfordert aber eine hohe Compliance, da 4 x 2 Kau-Tbl. täglich eingenommen werden müssen
  • Bei ungenügender oder fehlender Wirksamkeit sollte eine Überweisung an die Spezialistin erfolgen.

Tabelle 2: Blasenentspannende Medikamente

Hinweis: Es gibt keine Belege, dass ein Antimuskarinikum in der Wirksamkeit einem anderen überlegen ist. Manchmal ist es erforderlich, verschiedene Medikamente auszuprobieren, bis man eine gute Verträglichkeit und Wirksamkeit gefunden hat.

 

5.3. Operative Behandlungsoptionen (–> Spezialisten)

  • Eine operative Therapie der Belastungsinkontinenz kommt nach Ausschöpfen der konservativen Therapie in Betracht
  • Auch adipöse Patientinnen können von Harninkontinenz-Operationen profitieren
  • Gute Erfolgsraten mit geringen Komplikationsraten können auch bei älteren Patientinnen durch suburethrale Band-Operationen erzielt werden. Allerdings scheint das Risiko für ein Operationsversagen und auch die Komplikationsrate mit dem Alter zuzunehmen
  • OP erst nach abgeschlossener Familienplanung.

Operationsverfahren

  • Retropubische suburethrale Bandeinlagen (Goldstandard): Minimal-invasive OP mit ausgezeichneten Kontinenzraten und Langzeitresultaten. Im Vergleich zum transobturatorischen Band haben retropubische Bänder eine höhere Kontinenzrate, geringere Erosionsrate vor allem im lateralen Vaginalsulcus und verursachen weniger Schmerzen. Das Risiko für Blasenentleerungsstörungen ist etwas höher. Eine gleichzeitige Zystoskopie wegen des Risikos einer Blasenläsion ist Teil des operativen Standards
  • Offene oder laparoskopische Kolposuspension oder die autologe Faszienschlinge bei Frauen mit Belastungsinkontinenz, wenn suburethrale Bandanlagen (retropubisch oder transobturatorisch) nicht in Betracht kommen.

 

6. Prävention

  • Eine präpartale Physiotherapie (Beckenbodentraining) kann das Risiko der Entstehung einer Harninkontinenz verringern. Auch Rückbildungsturnen nach der Geburt trainiert den Beckenboden
  • Frauen sollten über den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Harninkontinenz aufgeklärt werden
  • Eine elektive Sectio zur Reduktion des Risikos einer Harninkontinenz wird aufgrund der Risiko-Nutzen-Konstellation nicht empfohlen. Dennoch soll Schwangeren mit erhöhtem Risiko für eine postpartale Beckenbodeninsuffizienz eine spezifische Aufklärung angeboten werden, um Nutzen und Risiko einer primären Sectio abzuwägen
  • Frauen nach der Menopause ist eine lokale Östrogentherapie zu empfehlen.

 

7. Literatur

  1. Sk2 Leitlinie der DGGG, ÖGGG und SGGG: Harninkontinenz der Frau. Dezember 2021.
  2. Gehrich A, Stany MP, Fischer JR, Buller J, Zahn CM: Establishing a mean postvoid residual volume in asymptomatic perimenopausal and postmenopausal women. Obstet Gynecol  2007 ; 110: 827–832. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17906016.
  3. Milleman M, et al.: Post-void residual urine volume in women with overactive bladder symptoms. J Urol 2004; 172: 1911. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15540753.
  4. Lukacz ES, et al.: Elevated postvoid residual in women with pelvic floor disorders: prevalence and associated risk factors. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2007; 18: 397. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16804634.
  5. Tseng LH, et al.: Postvoid residual urine in women with stress incontinence. NeurourolUrodyn, 2008. 27: 48. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17563112.
  6. Van Leijsen SA, et al.: Value of urodynamics before stress urinary incontinence surgery: a randomized controlled trial. Obstet Gynecol 2013; 121: 999–1008. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23635736.
  7. Brostrom S, et al.: Short-term reproducibility of cystometry and pressure-flow micturition studies in healthy women. Neurourol Urodyn 2002; 21: 457. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12232880.
  8. Jahn P, et al.: Types of indwelling urinary catheters for long-term bladder drainage in adults. Cochrane Database Syst Rev 2012. 10: CD004997. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23076911.
  9. Viera AJ, Larkins-Pettigrew M: Practical use of the pessary Am Fam Physician 2000; 61: 2719–2726.
  10. Noblett KL, McKinney A, Lane FL: Effects of the incontinence dish pessary on urethral support and urodynamic parameters. Am J Obstet Gynecol 2008 May; 198(5): 592 e1-5.
  11. Lipp A, Shaw C, Glavind K: Mechanical devices for urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev 2011 Jul 6; (7): CD001756.
  12. Cody JD, Jacobs ML, Richardson K et al.: Oestrogen therapy for urinary incontinence in post-menopausal women. Cochrane Database Syst Rev 2012; 10: Cd001405.
  13. Rahn DD, Ward RM, Sanses TV, Carberry C, Mamik MM, Meriwether KV, Olivera CK, Abed H, Balk EM, Murphy M: Society of Gynecologic Surgeons Systematic Review Group. Vaginal estrogen use in postmenopausal women with pelvic floor disorders: systematic review and practice guidelines. Int Urogynecol J 2015; 26: 3–13.
  14. Alexander JW, et al.: CO2 surgical laser for treatment of stress urinary incontinence in women:a randomized controlled trial. CO2 surgical laser for treatment of stress urinary incontinence in women: a randomized controlled trial.Am J Obstet Gynecol. 2022;227(3):473.e1.
  15. Betschart C, et al.: Randomized, double-blind placebo-controlled trial with Bryophyllum pinnatum versus placebo for the treatment of overactive bladder in postmenopausal women. Phytomedicine 2013; 20(3–4): 351–358.

 

8. Impressum

Diese Guideline wurde im April 2023 erstellt.
© Verein mediX schweiz

Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel

Redaktion
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Maria Huber

Autoren
Dr. med. Mariele Keller

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