Factsheet

Suizid

Erstellt von: Petra Hromkovic, Uwe Beise Zuletzt revidiert: 09/2023 Letzte Änderung: 09/2023

Suizid – Häufigkeit und Bedeutung

  • Die Anzahl der Suizide (ohne assistierte Suizide) ist in der Schweiz leicht rückläufig. Im Jahr 2020 würden 972 Suizide verübt
  • Etwa 2–13 % der Patienten in der Primärversorgung haben aktuell Suizidgedanken
  • Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Zahl der Suizide
  • Suizidversuche (oft nicht erfolgreich) sind besonders häufig im Jugendalter
  • Bis zu 90 % der Betroffenen leiden zum Zeitpunkt ihres Suizides an einer psychischen, oft behandelbaren Erkrankung, am häufigsten an einer Depression
  • Rund 40 % der Suizidenten suchen in den letzten vier Wochen vor einem Suizidversuch einen Hausarzt auf; 20 % der Suizidenten hatten am Vortag einen Arzt aufgesucht.

⇒ HausärztInnen sind daher besonders gefordert, eine Gefährdung zu erkennen und die notwendigen Massnahmen zu ergreifen.

 

Risikofaktoren

Suizide treten überwiegend im Zusammenhang mit Krisensituationen oder schweren, lang andauernden körperlichen oder psychischen Belastungen auf

  • Depressionen, Angststörung, Psychosen und Suchterkrankungen
  • Vorangegangene Suizidversuche
  • Lebenskrisen (Trennung/Scheidung, Liebeskummer, Tod naher Angehöriger, finanzielle Schwierigkeiten, berufliche Probleme, schwere Konflikte, familiäre Probleme und persönliche Krisen – vor allem bei jüngeren Menschen)
  • Einsamkeit (vor allem bei älteren Menschen) und ein Gefühl der Wertlosigkeit
  • Chronische, als „unerträglich“ empfundene physische Leiden wie Schmerzen oder starke körperliche Einschränkungen
  • Schwere Erkrankungen oder Verletzungen ohne Perspektive für ein gutes Weiterleben (Krebs, Krankheiten mit starken Schmerzen, schwere Verstümmelungen)
  • Überforderung in der Schule/mit Gleichaltrigen bei geringer emotionaler Unterstützung
  • Suizid(versuche) im Umfeld
  • Vernachlässigung und Misshandlung
  • Neigung zu impulsivem Handeln
  • Ausagierendes dissoziales Verhalten (z. B. Weglaufen)
  • Abnorme Irritierbarkeit, tiefe Kränkung bei niedriger Kritik-/Frustrationstoleranz.

 

Hinweise auf Suizidalität

Sehr oft werden „verdeckte“ Signale in Form von Äusserungen wie beispielsweise
„Ich kann ich nicht mehr“, „Was hat das noch für einen Sinn“, „Das stehe ich nicht durch“, „Ich möchte nur noch schlafen“, „Ich falle allen zur Last“

⇒ Etwa 75 % der Suizidhandlungen werden in irgendeiner Form angekündigt.

Erhöhte Aufmerksamkeit ist geboten, wenn der Patient/die Patientin

  • Über diffuse Schmerzen oder anhaltende Erschöpfung klagt
  • Hoffnungslos und verzweifelt wirkt
  • Das eigenen Aussehen zunehmend vernachlässigt
  • Obsessive Beschäftigung mit dem Tod zeigt
  • Sich zunehmend zurückzieht
  • Starke Auto-Aggressionen zeigt
  • Verstärkt Alkohol- und Drogen konsumiert
  • Häufig von der Schule oder dem Ausbildungsort fernbleibt
  • Plötzliche Verhaltensänderungen zeigt
  • Selbstschädigendes Verhalten zeigt.

Als hochgradiges Alarmzeichen muss gewertet werden, wenn der Patient/die PatientIn

  • Sich neuerdings leichtfertig bzw. selbstschädigend verhält (z. B. riskantes Autofahren) oder sich selbst verletzt
  • Direkte oder indirekte suizidale Äusserungen oder Suizid-Drohungen macht
  • Beginnt, ihre/seine Angelegenheiten zu regeln (Aufräumen, Verschenken, Testament, Abschiedsbesuche/-telefonate, Abschluss einer Lebensversicherung)
  • Tabletten oder eine Waffe besorgt
  • In oder nach einer depressiven Phase plötzlich gelöst und entspannt wirkt.

 

Erfragen von Suizidalität

Patienten sollen aktiv und bei Vorliegen einer Depression und/oder Hinweisen auf Suizidalität nach Suizidgedanken befragt werden. Die Sorge, mit der Ansprache des heiklen Themas eine allfällig vorhandene Suizidneigung zu „triggern“, ist unbegründet

Es sollte immer evaluiert werden, wie stark der Handlungsdruck ist, der sich in zunehmend konkreteren Suizidgedanken und -plänen ausdrückt. Daher sollten auch Fragen nach allgemeinen Todeswünschen bis hin zu konkreten Fragen nach eventuellen Suizidplänen gestellt werden.

Vorgehen

Offene Kommunikation in ruhiger, wertschätzender und sicherer Atmosphäre ist wichtig.
Um die Möglichkeit von Suizidalität zu erkennen, kann das Gespräch z. B. mit folgenden Sätzen eröffnet werden

  • „Sie haben es derzeit nicht leicht. Wie können Sie damit umgehen?“
  • „Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen nicht gut geht. Möchten Sie erzählen, was Sie bedrückt?“
  • „Ihnen geht es offensichtlich nicht gut. Das macht mir Sorgen.“

Zur Abschätzung des Suizidrisikos können z. B. folgende Fragen gestellt werden

  • Haben Sie in letzter Zeit daran denken müssen, nicht mehr leben zu wollen?“
  • „Haben Sie auch daran denken müssen, ohne es zu wollen? Haben sich Suizidgedanken aufgedrängt?“
  • „Konnten Sie diese Gedanken beiseiteschieben?“
  • „Haben Sie konkrete Ideen, wie Sie es tun würden?“
  • „Haben Sie Vorbereitungen dazu getroffen?“
  • „Gibt es etwas, was Sie davon abhält?“
  • „Haben Sie schon mit jemandem über Ihre Suizidgedanken gesprochen?“
  • „Hat sich in Ihrer Familie oder Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis schon jemand das Leben genommen?“
  • Aktuelle und absehbare suizidverschärfende Auslöser erfragen (Jahrestage, bestimmte Personen, Konflikte, Notlagen)
  • Was denken Sie, ist nach Ihrem Suizid? Für Sie, für die Andern?

 

Erste Massnahmen bei abmachungsfähigen suizidgefährdeten Jugendlichen und Erwachsenen

Bei Suizidgedanken ohne konkrete Umsetzungspläne

  • Notfallplan vereinbaren und schriftlich festhalten
    • Telefonnummern von behandelnden Psychiatern/Therapeuten/Hausärztin
    • Notfallnummer der psychiatrischen Einrichtung
    • Telefonnummer von nahestehenden Personen
  • 3 Gründe warum ein Weiterleben sich lohnt. Notieren!
  • Tagesstruktur vereinbaren
  • Termin beim Psychiater/Therapeut*in vereinbaren.

Bei akuter suizidaler Krise

  • Liegen imperative Suizidgedanken und/oder konkrete Handlungspläne vor, von denen sich der Patient nicht distanzieren kann –> Zuweisung stationäre psychiatrische Behandlung
  • Mit Hinweis auf Hilfs- und Behandlungsmöglichkeiten versuchen, die Hemmschwelle bezüglich einer stationär-psychiatrischen Betreuung abzubauen
  • Bei Behandlungsverweigerung und akuter Selbstgefährdung ist eine Unterbringung gegen den Willen des Patienten erforderlich.

Siehe auch mediX Factsheet Erwachsenenschutzrecht.

 

Massnahmen bei nicht abmachungsfähigen Jugendlichen (unter 18 J.)

  • Sorgeberechtige müssen informiert werden und in die Praxis kommen
  • Gemeinsam mit dem Jugendlichen und den Sorgeberechtigten über eine stationäre Krisenintervention sprechen und ggfls. eine Anmeldung beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst.

 

Dos und Don‘ts

Was man TUN kann

  • Einen Raum finden, in dem man sprechen kann
  • Sich Zeit nehmen
  • Ruhig zuhören
  • Verständnis zeigen, ernst nehmen
  • Reformulierung von Problemen
  • Non-verbale Botschaften des Verständnisses und Respekts
  • Ehrlich und offen sprechen
  • Auf die Gefühle der Person eingehen.

Was man NICHT tun sollte

  • Vorschnelle Tröstung
  • Ermahnung
  • Verallgemeinerung
  • Belehrung, Ratschlag
  • Herunterspielen des Problems (ggfls. des Suizidversuchs!)
  • Beurteilen und kommentieren
  • Nachforschen, ausfragen, analysieren
  • Vorschnelle Aktivitäten entwickeln
  • Unangemessene Ziele formulieren (Überforderung)
  • Sofortige Beendigung des Gesprächs akzeptieren.

 

Notfalltelefone und Kriseninterventionszentren

  • Telefon 117 – Die Polizei bietet den Notfallpsychiater & Notarzt selber auf, zudem kann sie sich am schnellsten Zutritt zum Patienten verschaffen wenn nötig
  • Telefon 144 – falls der Pat. medizinische Versorgung benötigt
  • Rufnummern und Kriseninterventionszentren: https://www.depressionen.ch/notfall/.

 

Infomaterial und links

Für Betroffene und Angehörige

Für Fachpersonen

Für Betroffene und Fachpersonen

  • ASSIP: Kurztherapie für Menschen nach Suizidversuch.

 

Literatur

Literaturliste bei den Verfassern.

 

Impressum

Dieses Factsheet wurde im September 2023 erstellt.
© Verein mediX schweiz

Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel

Redaktion
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Uwe Beise 
Dr. med. Maria Huber

Autoren
Petra Hromkovic
Dr. med. Uwe Beise

Dieses Factsheet wurde ohne externe Einflussnahme erstellt. Es bestehen keine finanziellen oder inhaltlichen Abhängigkeiten gegenüber der Industrie oder anderen Einrichtungen oder Interessengruppen.

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