Guideline

Sexualstörungen beim Mann

Erstellt von: Felix Huber, Stefan Schmid, Uwe Beise Zuletzt revidiert: 11/2022 Letzte Änderung: 11/2022

Aktualisierung 11/2022

  • Die Guideline wurde vollständig durchgesehen, auf Aktualität geprüft und geringfügig ergänzt
  • Es gibt keine bedeutsamen praxisrelevanten Neuerungen.

 

1. Einteilung, Epidemiologie, Ursachen

Vorbemerkung

In dieser Guideline werden die folgenden funktionellen Sexualstörungen behandelt: Erektionsstörungen, Ejakulationsstörungen, Libidostörungen.

Sexuelles Erleben und Verhalten basieren auf einem Zusammenspiel organischer, psychischer und sozialer Faktoren. Körperliche Sexualfunktion, Persönlichkeitsmerkmale, Lebensumstände und die Partnerbeziehung sind deshalb bei Sexualstörungen individuell zu beurteilen und zu gewichten (1).

1.1. Erektionsstörungen (erektile Dysfunktion, ED) (2, 3)

Definition

  • ED ist das anhaltende oder wiederkehrende Unvermögen, eine ausreichende Erektion für eine sexuelle Aktivität zu erzielen oder aufrecht zu erhalten. Dieser Zustand sollte mindestens 3–6 Monate bestehen (Ausnahme nach Trauma wie radikale Prostatektomie) (laut ISSM*).
    Anmerkung: Diese Definition bedeutet nicht, dass für eine befriedigende Sexualität stets eine „ausreichende Erektion“ vorhanden sein muss.

    * International Society of Sexual Medicine

Epidemiologie

  • Köln-Studie: Prävalenz steigt von 2,3 % in der 3. Lebensdekade bis auf 53,4 % in der 7. Lebensdekade.  Allerdings fühlt sich unter den Männern > 70 J. nur eine kleine Minderheit behandlungsbedürftig (4)
  • Massachusetts Male Aging Study bei 40- bis 70-jährigen Männern: 17,2 % haben leichte ED, 25,2 % mittelschwere ED, 9,6 % schwere ED (5)
  • In der Schweiz ist ED ein häufiger Beratungsanlass unter den sexuellen Störungen (6), jedoch seit Einführung der PDS-5-Hemmer rückläufig
  • Koinzidenz ED mit kardiovaskuläre Erkrankungen: 55 % bei behandelten Hypertonikern, 60 % bei Diabetikern und 78 % bei behandelter KHK (3)
  • Koinzidenz ED mit BPH/Prostataobstruktionssyndrom: ED bei 45–75 % der BPH-Patienten (7, 8).

 

Ursachen

Organisch bedingte ED

  • Vaskulär: Endotheliale Dysfunktion der Schwellkörper-Gefässe – mit reduziertem arteriellem Blutzustrom oder beschleunigtem venösen Abfluss aus den Corpora cavernosa. Die RF sind meist identisch mit denen der KHK: Alter, Diabetes mellitus, Hypertonie, Hypercholesterinämie und Rauchen
  • Neurologisch: Z. B. (diabetische) Polyneuropathie, Infarkte, Hirnblutungen, M. Alzheimer, M. Parkinson, Tumore oder Multiple Sklerose, Nervenläsion nach radikaler Prostatektomie/Eingriff im kleinen Becken
  • Hormonell: Hypogonadismus (z. B. Klinefelter-Syndrom), Hypo-/Hyperthyreose, M. Addison
  • Ausserdem: Andere systemische Krankheiten, welche sich stark auf das körperliche und seelische Befinden auswirken.

Psychisch bedingte ED

  • Häufig Angstsymptome, ausgelöst z. B. durch Beziehungsunsicherheit oder Insuffizienzgefühle. Der sexuelle Reaktionszyklus wird durch Erwartungsangst, Versagensangst, Leistungsdruck, erhöhte Anspannung und Selbstbeobachtung behindert. Diese Reaktionsmuster können auch bei einer primär organisch bedingten ED entstehen
  • Psychiatrische Erkrankungen (Depression, Schizophrenie) gehen oft mit ED einher
  • Partnerschaftsprobleme, traumatische sexuelle Erfahrungen, Stress, etc.

Medikamentös bedingte ED

  • Antidepressiva (SSRI, MAO-Hemmer, Trizyklika)
    • Trizyklika und SSRI, SNRI: Sexuelle Funktionsstörungen (SFS), v. a. Libidoverlust, Anorgasmie, sind häufig (20–90 %)
    • SFS unter Desipramin, Nortriptylin weniger häufig, selten unter Bupropion und Trazodon, sehr selten unter Agomelatin
  • Neuroleptika (Antiypsychotika)
    • Bei allen Präparaten hohe SFS-Raten (verminderte Libido, erektile Dysfunktion)
  • BPH-Medikamente (5-Alpha-Reduktase-Hemmer)
  • Blutdrucksenkende Medikamente
  • Hormone (Antiandrogene, LHRH-Agonisten, Steroide, Ketoconazol), Histaminrezeptorantagonisten (Cimetidin, Ranitidin), bestimmte Drogen (Kokain, Alkohol).

Ausserdem

  • Ausgedehntes Velofahren (9).

1.2. Ejakulations-/Orgasmusstörungen (10, 11)

Ejaculatio praecox

  • Häufigkeit: Ca. 20 bis 25 % der befragten erwachsenen Männer in Industrieländern (Global Study of Sexual Attitudes and Beliefs,GSSAB 2]). Bei Berücksichtigung strenger Diagnosekriterien vermutlich deutlich unter 5 % (10)
  • Definition: Nicht einheitlich. Neuerdings werden die folgenden 3 Komponenten gefordert
    • Kurze Latenzzeit: Die durchschnittliche Zeit vom Beginn der vaginalen Penetration bis zur Ejakulation beträgt unter 1 Minute (IELT = intravaginal ejaculatory latency time)
    • Fehlende Kontrolle über Ejakulation
    • Krankheitsgefühl: Es resultieren Leidensdruck und/oder Partnerschaftsprobleme
  • Ursachen: Sind nicht eindeutig geklärt, insbesondere sind die mutmasslichen organischen Ursachen nicht durch robuste Daten untermauert (10)
    • Psychogen: Angst, beeinträchtigte Kommunikation mit dem Partner, unzureichende Techniken der Ejakulationskontrolle, psychodynamische Ursachen, penile Hypersensitivität
    • Organisch: Serotonerge Dysregulation, ED, Prostatitis, Schilddrüsenfunktionsstörung
    • Medikamentös: Z. B. Parkinson-Medikamente, Opiate, Sympathikomimetika, Amphetamine.


Verzögerter/ausbleibender Orgasmus (Ejaculatio retarda)

  • Häufigkeit: 9–20 % (häufiger mit zunehmendem Alter) (12)
  • Ursachen: Lassen sich nicht immer herausfinden, keine robusten Studiendaten vorhanden
  • Organisch: Z. B. altersbedingtes Nachlassen der Penissensibilität, Neuropathie (Diabetes, Alkoholismus), Operationen im kleinen Becken, MS
  • Psychogen: Sexualfeindliche Erziehung, Ängste vor Kontrollverlust, u. a.
  • Medikamentös: Z. B. SSRI, Neuroleptika, Sedativa, BPH-Medikamente.

 

1.3. Sexuelle Appetenzstörung (Libidoverlust)

  • Definition: Ein anhaltender oder wiederkehrender Mangel an (oder ein Fehlen von) sexuellen Phantasien und des Verlangens nach sexueller Aktivität. Die Störung erzeugt deutliches persönliches Leid oder führt zu zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und ist nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärbar (laut DSM-IV)
  • Häufigkeit: Bei 12,5–28 % (12) – häufiger mit zunehmendem Alter
  • Ursachen
    • Psychosozial: Erschöpfungszustände, Partnerschaftskonflikte, Stress, Kontaktschwierigkeiten/Hemmungen, (Existenz-)Ängste; psychiatrische Störungen (Depression, Schizophrenie)
    • Organisch: Bei schweren (chronischen) Krankheiten, Hormonstörungen (Testosterondefizit, Hyperprolaktinämie)
    • Medikamentös: Z. B. Betablocker, Antidepressiva, Cimetidin, Ranitidin.

 

2. Diagnostik (1–3, 10, 15, 26)

2.1. Anamnese

Sexualanamnese

Erektile Dysfunktion

  • Verlauf: Seit wann, plötzlich oder progredient, situationsabhängig?
  • Schweregrad
  • Morgendliche/nächtliche Erektion erhalten?

Sexuelle Appetenz

  • Libido: Vorhanden? (seit wann) abgeschwächt/fehlend?

Orgasmusfähigkeit

  • Vorzeitige/verzögerte/ausbleibende Ejakulation?

Psychosozial

  • Leidensdruck: Beeinträchtigung des Sexuallebens/der Paarbeziehung?
  • Partnerbeziehung: Konflikte, Nähe, gegenseitige Anerkennung?
  • Einschneidende Lebensereignisse?

Klinische Anamnese

  • Internistische, neurologische, psychiatrische Erkrankungen, Operationen.

Medikamentenanamnese

Ausserdem

  • Alkohol, Rauchen, Drogen.

Anamnestische Wegweiser erektile Dysfunktion

  • Plötzliche sexuelle Dysfunktion bei vorher ungestörter Sexualanamnese –> psychogene oder eine traumatische Ursache (radikale Prostatektomie). Alle anderen Störungen treten zuerst sporadisch und dann zunehmend häufiger auf
  • Erektile Reserve: Spontane Erektionen (während REM-Schlaf, morgens beim Aufwachen). Bei Verlust –> vaskuläre oder neurologische Störung. Beachte: Vorhandene erektile Reserve schliesst eine vaskuläre Störung aber nicht aus
  • Ungenügende Standfestigkeit der Erektion –> Angst oder ein vaskuläres Problem (venöse Insuffizienz)
  • Nicht vergessen: Die erektile Dysfunktion kann Frühzeichen für eine kardiale Erkrankung (systemische Arteriosklerose) sein!

⇒ Für eine (vorwiegend) psychisch bedingte Störung sprechen

  • Alter < 50 J.
  • Keine Risikofaktoren (Potenz beeinflussende Erkrankungen, Medikamente, Rauchen, Alkohol, Drogen)
  • Genaue Erinnerung an den Beginn der sexuellen Probleme (neuer Partner, Beziehungsprobleme)
  • Nächtliche und morgendliche Spontanerektion erhalten
  • Keine Erektionsprobleme bei Masturbation (oder mit bestimmten Partnern)
  • Vorausgehende belastende Lebensereignisse
  • Fluktuation und Situationsabhängigkeit der sexuellen Störung.

 

2.2. Untersuchungen

  • Zeichen von Gefässerkrankungen: Blutdruck, HF, periphere Pulse, Strömungsgeräusch Aa. femorales
  • Hodenuntersuchung auf Grösse und Asymmetrie oder Tumor
  • Zeichen einer Hormonstörung: Körperbau, Fettverteilung, Gynäkomastie (Klinefelter-Sy.), Behaarungsmuster, Hodengrösse
  • Erkrankungen der Genitalorgane: Balanitis, Phimose, Penisplaques oder Deviation
  • Gesichtsfeld (Hypophysentumor)
  • Digital rektale Untersuchung bei älteren Patienten mit LUTS (Lower Urinary Tract Symptoms) und Ejakulationsproblemen (Ausschluss palpables Prostata-Ca).

 

2.3. Labor

Bei Verdacht auf Gefässerkrankung

  • Lipidprofil, BZ, ev. HbA1c, Hb (falls noch nicht bekannt).

Ausserdem

  • TSH bei Verdacht auf Schilddrüsenfunktionsstörung
  • Testosteron (31)
    • Es wird kein allgemeines Screening empfohlen
    • Eine Gesamt-Testosteron-Bestimmung wird bei Verdacht auf einen Hypogonadismus empfohlen, sofern eine signifikante klinische Symptomatik vorliegt (s. Tabelle 1).
    • ⇒ Gesamt-Testosteron: Hypogonadismus: < 8 nmol/l, Graubereich: 8–12 nmol/l. Beachte: Die Messung soll vormittags, am besten zwischen 8 und 10 Uhr, erfolgen (zirkadianer Rhythmus). Bei verringertem Testosteron sind zwingend 1–2 Wiederholungsmessungen erforderlich. Zur Differentialdiagnose primärer/sekundärer Hypogonadismus kann ggfls. anschliessend die Bestimmung von LH, SHBG und Prolactin erforderlich sein (–> beim Spezialisten). Freies Testosteron wird errechnet, nicht gemessen.

Tabelle 1: Mögliche Symptome des Hypogonadismus


Hinweise zum Altershypogonadismus/Late onset Hypogonadismus (LOH)

  • Der Testosteronspiegel sinkt mit dem Alter langsam und stetig ab. Eine Andropause im Sinne von hormonbedingten Wechseljahren des Mannes existiert aber nicht (14,15)
  • LOH kann mit Symptomen einhergehen, die mehr oder weniger unspezifisch sind
  • Mehr als 70 % der LOH-Patienten sind übergewichtig/adipös
  • Diagnostische LOH-Kriterien der Arbeitsgruppe der European Male Ageing Study (EMAS): Der Patient muss drei sexuelle Symptome (fehlende sexuelle Phantasien/Libido, fehlende/nachlassende morgendliche Erektionen und erektile Dysfunktion) und bei wiederholter Messung einen laborchemischen Testosteronmangel aufweisen (15).

Anmerkungen

  • Die meisten Männer mit ED haben normale Testosteron-Spiegel. Es gibt keine Korrelation zwischen T-Spiegel und Schwere einer ED (15)
  • Bei Männern mit Testosteron < 8 nmol/L ist die Mortalität 2-fach erhöht (unabhängig von sexuellen Symptomen) (13). LOH wird jedoch nur bei ca. 2 % der Männer zwischen 40–80 J. festgestellt (bei Männern, die medizinische Hilfe suchen, ist der Prozentsatz aber höher)
  • Auch bei subnormalen Testosteron-Spiegeln ist eine normale Erektion möglich, höhere T-Spiegel verbessern die Erektionsfähigkeit nicht unbedingt (15).

 

3. Therapie

3.1. Erektionsstörungen (erektile Dysfunktion) (2, 3, 19)

(Sexual-)beratung

  • Lifestyle-Massnahmen (z. B. Stressreduktion, Bewegung, Rauchstopp), Aufklärung über altersbedingten physiologischen Rückgang der Potenzkraft, Erwartungsdruck und unrealistische Vorstellungen über sexuelle Leistungsfähigkeit ansprechen, lustvoller Sex auch ohne Erektion möglich (Penetration ist nicht unbedingt notwendig für befriedigendes Sexualleben) etc.
    –> Sachbuch-Empfehlung für Patienten und ÄrztInnen: Ulrich Clement: Systemische Sexualtherapie, Klett Cotta, 2011.
  • Beratungsstellen, Kurse: Z. B. ziss.ch (Zürich), Sexuelle Gesundheit Schweiz
  • Selbsthilfe-Weblink: http://www.impotenz-selbsthilfe.de/
  • Bei komplizierteren Beziehungs-/Persönlichkeitsstörungen –> Sexual-/Paar- oder Psychotherapie.

Allgemeine Massnahmen

  • Ursächliche Erkrankungen/RF behandeln (z. B. Hypertonie, Hypothyreose, Depression)
  • Ursächliche Medikamente wenn möglich absetzen oder Dosis reduzieren. Beispiel Antidepressiva: Umstellung auf Mirtazapin, Trazodon, Bupropion
  • Dem Patienten kann vorgeschlagen werden, wenigstens für einen Testzeitraum auf Alkohol- und Nikotinkonsum zu verzichten. Ein Kontrolltermin sollte 2–3 Monate später erfolgen.

 

Spezifische medikamentöse Therapie (nie ohne Beratung/Ursachenabklärung!)

  • Phosphodiesterase-5 (PDE-5)-Hemmer (29)
    • Sind bei ca. 60–70 % wirksam (20–40 % Placebo), bei Diabetikern nur in
      40–50 %
    • Gutes Ansprechen auf PDE-5-Hemmer spricht für ein intaktes Gefässsystem
    • NW: Kopfschmerz, Flush, Dyspepsie, Rhinitis, Sehstörungen, Rücken- und Muskelschmerzen.
      Cave: Kombination von PDE-5-Inhibitoren mit Nitraten und nicht selektiven Alpha-Blockern (Minipress®, Cardura®, Hytrin®) kann zu lebensgefährlichen Hypotonien führen!
    • Kontraindikationen: Schwere kardiovaskuläre Krankheiten (z. B. instabile Angina pectoris), nichtarteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie, Retinitis pigmentosa
    • Therapieversagen: Bei Unwirksamkeit nach mindestens 6 Therapieversuchen
    • Bei Unwirksamkeit eines PDE-5-Hemmers kann ev. der Wechsel auf einen anderen PDE-5-Hemmer versucht werden (26).

PDE-5-Hemmer

  • Sildenafil (Viagra®/Generika 25/50/100 mg): Wirkeintritt nach ca. 30–60 min, Wirkdauer ca. 3–5 h
  • Vardenafil (Levitra®, Vivanza® 5/10/20 mg): Wirkeintritt nach ca. 30–45 min, Wirkdauer ca. 4–6 h
  • Tadalafil (Cialis® 2,5/5/10/20 mg): Wirkeintritt nach ca. 60–120 min, Wirkdauer bis zu 36 h; ist auch zur Behandlung einer Prostataobstruktion zugelassen –> Bei Patienten mit Erektionsstörungen und BPH/LUTS kann Cialis® in geringer Dosierung (2,5/5 mg) täglich eingenommen werden (KK-Antragsformulare zur Kostenübernahme bei der Firma erhältlich)
  • Avanafil (Spedra® 50/100/200 mg): Wirkeintritt nach ca. 15–30 min, Wirkdauer ca. 4–6 h.

mediX empfiehlt Initialtherapie mit Sildenafil 50 mg, bei jüngeren Patienten mit psychogener Komponente Sildenafil 25 mg. Wird eine längere Wirkdauer von bis zu 36 h gewünscht, sollte Tadalafil 10 mg eingesetzt werden.

Hinweis: Alkohol beeinflusst die Wirksamkeit nicht. Sildenafil, Vardenafil und Avanafil sollten nicht mit/nach dem Essen eingenommen werden (Wirkminderung und -verzögerung), Tadalafil interferiert nicht mit der Nahrungsaufnahme.

  • Alprostadil (= Prostaglandin E1) ist eine Alternative, wenn PDE-5-Hemmer nicht wirken oder nicht vertragen werden (16). KI: Prädisposition für Priapismus (bei Sichelzellanämie, multiplem Myelom oder Leukämie); Antikoagulation.
    Anwendungsformen
    • Intraurethrale Applikation: MUSE Urethrastab® 250, 500 oder 1000 mcg (auch bei Antikoagulation!)
    • Schwellkörper-Auto-Injektions-Therapie SKAT: Caverject® 10 oder 20 mcg
  • Yohimbin: Kann aufgrund limitierter Studiendaten nicht empfohlen werden
  • Vakuumpumpe: Gute Wirksamkeit, wegen medikamentöser Optionen heute seltener verwendet
  • Operation (Schwellkörperimplantat, Gefässrekonstruktion): Ultima ratio
  • Beckenbodentraining hilft wahrscheinlich, die Erektionsfähigkeit zu verbessern, vor allem bei venöser Insuffizienz des Corpus cavernosum. Es gibt aber nur wenige kontrollierte Untersuchungen (17, 18).

3.2. Ejakulations-/Orgasmusstörungen (10, 19)

Ejaculatio praecox

Nichtmedikamentöse Massnahmen

  • Stop-Squeeze-Methode: Kurz vor der Ejakulation wird die sexuelle Stimulation durch eine Kompression der Glans penis ersetzt, bis der Ejakulationsdrang nachlässt. Danach wird die sexuelle Stimulation fortgesetzt
  • Stop-Pause-Methode: Kurz vor der Ejakulation wird die sexuelle Stimulation ausgesetzt, bis der Ejakulationsdrang nachgelassen hat und eine weitere sexuelle Stimulation ohne Ejakulation möglich ist
  • Sexualberatung/-therapie
  • Eventuell Beckenbodentraining.

Medikamente

  • Das kurzwirksame SSRI Dapoxetin (Priligy®) ist in CH als Bedarfsmedikation zugelassen
    • Dosierung: 30 mg 1–3 h vor geplanter sexueller Aktivität, maximal 1 x/d. Bei ungenügender Wirksamkeit und fehlenden Nebenwirkungen Dosiserhöhung auf 60 mg möglich
    • Wirkung: In Zulassungsstudie konnte IELT von ca. 1 min auf 3,2 min (30 mg Dapoxetin) bzw 3,5 min (60 mg Dapoxetin) verlängert werden (Plazebo 1,9 min) (20). Kombination mit PDE-5-Hemmern ist möglich
  • Alternativ andere SSRI (z. B. Sertralin 50 mg) (Off-label). Tramadol hat eine gewisse Wirksamkeit (21), wird aber nicht empfohlen (10)
  • Lokal: Lokalanästhetika (Emla Crème) bei Hypersensitivität des Penis. Applikation 20 min vor dem Geschlechtsverkehr.

Ejaculatio retarda

  • Falls möglich Dosisreduktion oder Absetzen von ursächlichen Medikamenten, bei Orgasmusstörungen unter Antidepressiva ggfls. Umstellung auf Bupropion oder Mirtazapin
  • Psychotherapie/Sexualtherapie bei Paarproblemen, Angststörungen, Schuldgefühlen.

3.3. Sexuelle Appetenzstörung (Libidoverlust)

  • (Sexual-)beratung, ev. Paartherapie
  • Medikamente, die Libidostörungen verursachen können, wenn möglich absetzen oder Dosis reduzieren.

Bei Testosteronmangel

  • Lifestyle-Veränderungen (Gewichtsreduktion, Bewegung). Gewichtsabnahme erhöht Testosteronspiegel und vice versa (15, 22)
  • Behandlung von Komorbiditäten (z. B. Diabetes)
  • Testosteron-Substitution (25, 27)
    • Ist indiziert bei bestimmten Formen des primären/sekundären Hypogonadismus (z. B. Hodenschädigung, Klinefelter-Symdrom)
    • Die Indikation bei Männern mit LOH ist ungeklärt bzw. umstritten. Testosteron-Substitution kann die Libido stärken, es wirkt kaum auf Erektionsstörungen, bzgl. der Wirkung auf andere Symptome ist die Studienlage z. T. widersprüchlich
    • Ob Testosteron-Substitution die Wirksamkeit von PDE-5-Hemmern erhöht, ist umstritten. Bei eindeutigem Testosterondefizit scheint eine Testosteron-Substitution jedoch hilfreich zu sein (28).

      mediX empfiehlt
      Bei erniedrigtem (Gesamt-) Testosteron (< 8 nmol/l nach mind. 2-maliger Messung) und Libidoverlust und mind. 1 weiteren Symptom (–> Tabelle 1) probatorische Testosteron-Substitution für 4 Wochen. Niemals probatorische Testosteron-Therapie ohne nachgewiesenen Mangel mit entsprechender Symptomatik! (32).

    • Kontraindikationene/NW: Absolute KI: (Verdacht auf) Prostata-Ca oder Mamma-Ca, Kinderwunsch, Polyglobulie (Hkt > 50 %), relative KI: Herzinsuffizienz NYHA IV, ausgeprägte Akne, Gynäkomastie, benigne Prostatahyperplasie. Die kardiovaskulären Sicherheit der Testosterongabe bei funktionellem Hypogonadismus ist wegen fehlender Langzeitstudien unklar (–> AkdÄ).

Medikamente

  • Testogel® und Tostran® Gel für die tägliche transkutane Anwendung (25–50 mg/d). Hinweis: Da intramuskuläre Testosteronapplikationen (Testosteronenanthat, Testosteronundecanoat) meist zu einer LH-Suppression und damit bei Absetzen zu einem passageren iatrogenen Hypogonadismus führen, sollte ein Therapieversuch beim funktionellen Hypogonadismus immer mit Gelen durchgeführt werden
  • Nebido® i.m. (1‘000 mg i.m.) alle 2–3 Monate (Standardtherapie) bei Dauertherapie. Dosisintervall bestimmen durch Testosteronmessung jeweils vor der erneuten Applikation
  • Testoviron® ist obsolet und nur noch in der Bodybuilder-Szene gebräuchlich.

Beachte

  • Die Testosteronapplikation führt nicht zur Entstehung oder schnellerem Wachstum eines Prostatakarzinoms (d. h. solange nicht die Diagnose eines Prostatakarzinoms mit Indikation zur Testosteronsuppression besteht, hat eine T-Substitution keine schädliche Auswirkung auf die Prostata). Dennoch wird empfohlen, PSA zu Beginn einer Testosteronsubstitution sowie nach 3 und 12 Monaten zu bestimmen (30). Kontrollen von Blutbild/Hämatokrit (Polyglobulie?), Blutfetten und Leberwerten jährlich
  • Erhöhte NW-Rate ist bei adipösen Patienten beschrieben worden (15)
  • TOM-Studie: Substitutionstherapie bei Männern mit ED und Begleiterkrankungen musste wegen vermehrt aufgetretener kardialer NW abgebrochen werden (23, 24)
  • Wenn nach 6- bzw. 12-monatiger Therapie keine klinische Besserung unter der Testosteronsubstitution eintritt –> Therapie absetzen!

 

4. Literatur

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  2. Shamloul R, Ghanem H: Erectile dysfuntion. Lancet 2013; 381: 153-165.
  3. Fehr JL, et al.: Sexuelle Dysfunktion. J Urol Urogynäkol 2009; 16 (1): 27–9.
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  6. Buddeberg C, Jecker E, Klaghofer R, Dietz C, Götzmann L: Sexualmedizin in der ärztlichen Grundversorgung, Entwicklungen 1980—2004. Schw Rundsch Med (Praxis) 2007; 96: 721—725.
  7. Van Ahlen H: Wie stark und warum eigentlich überlappen die Phänotypen von LUTS und ED? Blickpunkt der Mann 2009; 7 (Sonderheft 1), 22.
  8. Morant S, Bloomfield G, Vats V, Chapple C: Increased sexual dysfunction in men with storage and voiding lower urinary tract symptoms. J Sex Med. 2009;6:1103–10.
  9. Sommer F, et al.: Bicycle riding and erectile dysfunction: a review. J Sex Med 2010;7:2346-58.
  10. Althof SE: International Society for Sexual Medicine’s Guidelines for the Diagnosis and Treatment of Premature ejaculation. J Sex Med 2010;7:2947–2969. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1743-6109.2010.01975.x/pdf.
  11. Michael J. Mathers, et al.: Einführung in die Diagnostik und Therapie der Ejaculatio praecox.
  12. Laumann EO, et al.: Sexual problems among women and men aged 40–80 y:prevalence and correlates identified in the Global Study of Sexual Attitudes and Behaviors. International Journal of Impotence Research (2005) 17, 39–57. http://ldc.upenn.edu/myl/llog/Laumann2005.pdf.
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  31. Snyder PJ: Clinical features and diagnosis of male hypogonadism, UpToDate, aufgerufen 10/2022.
  32. Snyder PJ: Testosterone treatment of male hypogonadism, UpToDate, aufgerufen 10/2022.

 

5. Impressum

Diese Guideline wurde im November 2022 aktualisiert. 
© Verein mediX schweiz

Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel

Redaktion 
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Maria Huber


Autoren
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Stefan Schmid
Dr. med. Uwe Beise


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