Guideline

Müdigkeit

Erstellt von: Felix Huber, Uwe Beise Zuletzt revidiert: 02/2020 Letzte Änderung: 02/2020

Schlaf und Schlafstörungen

Für PatientInnen

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Aktualisierung 02/2020

  • Die Guideline wurde vollständig durchgesehen und auf Aktualität geprüft.
  • Es gibt keine grundlegenden Änderungen in Diagnostik und Therapie der Müdigkeit.
  • Im Rahmen der Second-line-Diagnostik empfehlen wir neu auch eine Abklärung auf Hepatitis C (HC-IgG) bei den Jahrgängen 1950 bis 1985.

 

1. Einleitung, Definition, Symptome (1–2)

  • Die Patienten klagen über Energiemangel, Schwäche, rasche Ermüdbarkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme oder emotionale Instabilität
  • Davon abzugrenzen sind eigenständige Krankheitsbilder: Tagesschläfrigkeit, Dyspnoe, Muskelschwäche
  • Müdigkeit, die länger als 6 Monate dauert, wird als chronische Müdigkeit bezeichnet. Sie kann Ausdruck eines Chronic Fatigue Syndroms sein (s. u.)
  • Die körperliche Abklärung einer Depression soll nach den gleichen, unten beschriebenen Empfehlungen durchgeführt werden. Aufträge von Psychiatern, die oft ganze Batterien von sinnlosen Labortests verlangen, sind zurückzuweisen.

 

2. Ursachen (1, 3, 4)

Ursachen für akute, subakute oder chronische Müdigkeit

GL MüdigkeitTab 1,2

 

3. Abklärungen

3.1. Anamnese (1)

Der genauen Anamnese kommt eine zentrale Bedeutung zu.

Offene Fragen

  • „Was meinen Sie mit Müdigkeit?“, „Wie würden Sie diese Müdigkeit beschreiben?", „Was würde sich für Sie ändern, wenn Sie nicht mehr müde wären?", „Was würden Sie mit der zusätzlichen Energie tun?"

Gezielte Fragen

  • Beginn abrupt oder allmählich?
  • Verlauf stabil, sich verschlechternd, verbessernd?
  • Dauer und Tagesverlauf
  • Frage an den Patienten, woher seiner Meinung nach die Müdigkeit kommen könnte
  • Faktoren, die die Müdigkeit verbessern oder verschlimmern
  • Psychosoziale Belastungen
  • Bedeutung für das tägliche Leben
  • Getroffene Anpassungen im täglichen Leben
  • Gewichtsverlust, Nachtschweiss
  • Frage nach depressiver Stimmung, Angst, andere körperliche Störungen, Drogenabusus, Einnahme von Medikamenten, Schlafgewohnheiten
  • Mit zwei Screeningfragen lässt sich eine Depression mit einer Sensitivität von 96 % und einer Spezifität von 57 % diagnostizieren, wenn beide Fragen positiv beantwortet werden
    • Fühlten Sie sich im letzten Monat oft niedergeschlagen, schwermütig oder hoffnungslos?
    • Hatten Sie im letzten Monat weniger Interesse oder Freude an Ihren Aktivitäten?

Richtungsweisende Antworten

  • Wird der Patient beim Erheben der Anamnese gefragt, was er tun würde, wenn er nicht derart erschöpft wäre, und er antwortet mit einer Reihe von Aktivitäten, die er bei höherem Energielevel gerne unternehmen würde, so ist dies ein guter klinischer Hinweis darauf, dass der Patient nicht relevant depressiv ist
  • Patienten mit einer körperlichen Ursache können oft präzise angeben, welche Aufgaben sie nicht mehr erledigen können. Patienten mit Müdigkeit ohne Organbezug sind ständig müde und können sich in Ruhe nicht erholen
  • Eine ausgeprägte Morgenmüdigkeit, die sich im Verlauf des Tages bessert, weist auf eine Depression hin
  • Nimmt die Müdigkeit im Verlauf des Tages eher zu, so kann das auf eine somatische Ursache hinweisen
  • Eine körperliche Ursache wird seltener gefunden, wenn Müdigkeit das alleinige oder das Hauptsymptom ist.

3.2. Körperstatus (1, 11)

Vollständiger klinischer Status, insbesondere

  • Allgemeinzustand
  • Hautinspektion
  • Lymphknoten
  • Schilddrüse
  • Herz-Lungenauskultation, Zeichen der Herzinsuffizienz, chronische Lungenerkrankung?
  • Blutdruck im Liegen und Stehen
  • Muskeltonus und -kraft, Reflexe.

3.3. Labortests (1, 5, 6, 7, 11)

Extensive Labortests ohne Hinweis für eine körperliche Erkrankung in der Anamnese und im Status sind von limitiertem Wert und bergen bei tiefer Vortestwahrscheinlichkeit die Gefahr von falsch-positiven Resultaten und unnötigen Folgeuntersuchungen.

First-line-Abklärungen

  • Hämatogramm, CRP, BSR, Glukose, GPT, TSH, Ferritin (bei Frauen im reproduktiven Alter, bei Männern bei Verdacht auf Eisenmangel, z. B. Blutspender), ev. bei Tagesmüdigkeit zur DD Obstruktives Schlafapnoe Syndrom –> Epworth Sleepiness Score (ESS) (Schlaf und Atmung.ch).

Beachte

  • Ohne spezifische Symptomatik keine Bildgebung
  • Weitere Untersuchungen (Second-line, s. u.) haben ihre Berechtigung bei Patienten, bei denen nach etwa 1–3 Monaten des wachsamen Abwartens noch keine Besserung eingetreten ist
  • Allerdings können Second-line-Abklärungen auch bereits bei der Erstvorstellung gerechtfertigt sein, z. B. bei älteren Patienten oder Patienten, die den Arzt nur unregelmässig aufsuchen, oder wenn die klinischen Merkmale eine bestimmte Diagnose nahelegen.

Second-line-Abklärungen

  • Kreatinin und Elektrolyte
  • Weitere Leberfunktionswerte (GOT, γ-GT, alkalische Phosphatase)
  • Hepatitis C (HC-IgG) bei den Jahrgängen 1950 bis 1985 – auch bei normalen Transaminasen!
  • Kalzium (Hyperkalzämie bei Hyperparathyreoidismus)
  • Kreatininkinase bei Muskelschmerzen oder Muskelschwäche
  • Nur bei anamnestischen Hinweisen: HIV-Test, Tuberkuloseabklärung, EBV, CMV, Eiweisselektrophorese/Immunfixation, ANA, ANCA, Rheumafaktoren, Transglutaminase-AK
  • Bildgebung symptomorientiert oder auf häufige Karzinome je nach Alter und Geschlecht.

Nicht empfohlene Labortests

  • Vitamin D- oder B12-Bestimmung: Müdigkeit zählt nicht zu den Symptomen von Vitamin D- und B12-Mangel!
  • Borreliose-Seriologie: Borreliose macht keine isolierte Müdigkeit (in Erwägung ziehen, wenn weitere Symptome bestehen, wie Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Myalgien, Arthralgien, Lymphadenopathie, Fieber).

 

4. Chronische Müdigkeit (1, 8, 12, 13)

Dauert Müdigkeit länger als 6 Monate, so wird von chronischer Müdigkeit gesprochen.

Epidemiologie

  • Punktprävalenz der chronischen Müdigkeit beträgt ca. 20–60/1000 Personen. Weniger als 10 % erfüllen die Kriterien des CFS (s. u.)

Ursache CFS

  • Obwohl bei CFS-Patienten über verschiedene Abnormalitäten im Nerven- und Immunsystem sowie der metabolischen Funktionen berichtet wurde, ist die Ursache letztlich ungeklärt.

Diagnose CFS

Das Institute of Medicine (IOM) hat die Kriterien für ein Chronic Fatigue Syndrom (CFS) wie folgt definiert

Die Diagnose Chronic Fatigue Syndrom erfordert die drei folgenden Symptome

  1. Eine erhebliche Reduzierung oder Beeinträchtigung der Fähigkeiten sich auf dem Niveau in beruflichen, schulischen, sozialen und persönlichen Bereichen so zu betätigen wie vor der Erkrankung, die länger als sechs Monate anhält und von einer Erschöpfung begleitet wird, die oft schwerwiegend ist, neu ist oder einen konkreten Beginn hatte (nicht lebenslang besteht). Die Erschöpfung ist nicht die Folge starker Anstrengungen und verbessert sich durch Ausruhen nicht wesentlich
  2. Zustandsverschlechterung nach Belastung (Post Exertional Malaise [PEM])
  3. Nicht erholsamer Schlaf.

Zusätzlich muss mindestens eines der beiden folgenden Symptome vorliegen

  1. Kognitive Beeinträchtigung
  2. Orthostatische Intoleranz.

Trifft die Diagnose eines Chronischen Fatigue Syndroms gemäss obigen Kriterien nicht zu, so spricht man von einer Idiopathischen Chronic Fatigue.

 

5. Behandlung (1, 9, 10)

  • Behandlung der spezifischen Ursache (falls nachweisbar)
  • Findet sich keine spezifische Ursache für eine chronische Müdigkeit, so behandelt man diese wie ein Chronic Fatigue Syndrom (CFS).

Therapie CFS

  • Es gibt Evidenz für zwei wirksame Behandlungen: Kognitive Verhaltenstherapie und stufenweise Aktivierung
  • Die Arzt-Patientenbeziehung wird durch das Beschwerdebild der chronischen Müdigkeit stark gefordert. Es ist unsere Aufgabe in der Primärversorgung, die Patienten empathisch zu begleiten und sie mit ihren Beschwerden ernst zu nehmen, sie für verhaltenstherapeutische Massnahmen oder stufenweise Aktivierung zu motivieren und sie vor unnötigen Abklärungen und Behandlungen zu schützen
  • Ziele unserer Interventionen: Die Patienten sollten ihren Alltag selbständig bewältigen, zur Arbeit zurückkehren, Beziehungen pflegen und tägliche körperliche Übungen machen können
  • Antidepressiva können versuchsweise eingesetzt werden. Die Patienten sollen informiert werden, dass der Nutzen erst nach 2–3 Wochen eintritt. Bei fehlender Symptomverbesserung sollten die Antidepressiva nach 6–8 Wochen abgesetzt werden.

Andere Massnahmen

 

6. Literatur

  1. Fosnocht KM, Ende J: Approach to the adult patient with fatigue. UpToDate 02/2020.
  2. Markowitz AJ, Rabow MW: Palliative management of fatigue at the close of life: "it feels like my body is just worn out". JAMA 2007; 298:217.
  3. Gorroll AH, May LA, Mulley AG Jr (Eds): Primary Care Medicine: Office Evaluation and Management of the Adult Patient, 3rd ed, JB Lippincott, Philadelphia, 1995.
  4. Mettler J, Battegay E, Zimmerli L: Chronische Müdigkeit, Praxis 2007;96:1773–1775.
  5. Ridsdale L, Evans A, Jerrett W, et al.: Patients with fatigue in general practice: a prospective study. BMJ 1993; 307:103.
  6. Lane TJ, Matthews DA, Manu P: The low yield of physical examinations and laboratory investigations of patients with chronic fatigue. Am J Med Sci 1990; 299:313.
  7. NHS Clinical Knowledge Summaries. Tiredness/fatigue in adults – management.
  8. IOM (Institute of Medicine): Beyond Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: Redefining an Illness. Washington, DC: The National Academies Press; 2015. National Academies Press 02/2015.
  9. Price JR, Couper J: Cognitive behaviour therapy for adults with chronic fatigue syndrome. Cochrane Database Syst Rev 2000: CD001027.
  10. Whiting P, Bagnall AM, Sowden AJ, et al.: Interventions for the treatment and management of chronic fatigue syndrome: a systematic review. JAMA 2001; 286:1360.
  11. Hamilton W, Watson J, Round A: Müdigkeit: Abklärungen in der Grundversorgung, Praxis 2011;100(2):99–103.
  12. Clinical features and diagnosis of myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome. UpToDate 02/2020.
  13. Bates DW, et al.: Prevalence of fatigue and chronic fatigue syndrome in a primary care practice. Arch Intern Med. 1993;153(24):2759.

 

7. Impressum

Diese Guideline wurde im Februar 2020 aktualisiert.  
© Verein mediX

Herausgeber
Dr. med. Felix Huber

Redaktion (verantwortlich)
Dr. med. Uwe Beise

Autoren
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Uwe Beise

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