Factsheet

Männliche Infertilität

Erstellt von: Felix Huber, Corinne Chmiel Zuletzt revidiert: 05/2022 Letzte Änderung: 05/2022

Definition

  • Ein Paar gilt als steril, wenn bei häufigem und ungeschütztem Sexualverkehr nach einem Jahr keine Schwangerschaft eingetreten ist (in diesem Zeitraum tritt bei 85 % der Paare mit diesem Verhalten eine Schwangerschaft ein).

Anamnese

  • Sexualanamnese: Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs, Libido, erektile Dysfunktion, Impotenz, Kohabitationsprobleme, Kenntnisse über „optimales Timing“, Schwangerschaften aus früheren Beziehungen
  • Allgemeinerkrankungen: Diabetes mellitus, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Leber- und Nierenfunktionsstörungen, Hypertonie, Malignome, hoch fieberhafte Zustände in den sechs Monaten vor Ejakulatdiagnostik
  • Urogenitalinfektionen: Mumpsorchitis, sexuell übertragbare Krankheiten, Epididymitis, Tuberkulose
  • Operative Eingriffe: Orchidopexie bei Kryptorchismus oder Hodentorsion, Varikozelen-Op., retroperitoneale, pelvine, inguinale oder skrotale chirurgische Eingriffe
  • Medikamente: Anabolika, Sulfasalazin, Alphablocker, Cimetidin und Aldosteronantagonisten (können Hyperprolaktinämie verursachen)
  • Gonadotoxische Substanzen: Radio-, Chemotherapie, Alkohol, Nikotin, Suchtmittel, Androgene, Pestizid-, Schwermetall-, Lösungsmittelexposition
  • Sonstiges: Hitzeexposition, exzessiver (Ausdauer-)Sport.

 

Durchführung Basis-Spermiogramm

  • Spermiogramm ist obligatorisch in der Infertilitäts-Diagnostik.

Zeitpunkt und Durchführung

  • Samenabgabe nach sexueller Karenz von 2–7 Tagen (kürzere und längere Karenz verfälscht die Resultate)
  • Probengewinnung am besten im Zentrum für Fortpflanzungsmedizin oder Labor, um eine Abkühlung der Probe zu verhindern. Wenn es dem Patienten nicht möglich, vor Ort die Ejakulation herbeizuführen, darf Zeit zwischen Lösen und Analyse nicht länger als 1 h betragen; Transport körperwarm. Gewisse Labors (z. B. Analytica) bieten auch einen Transport des Mediums auf Voranmeldung an.

Wiederholung des Spermiogramms 

  • Ist (nur) notwendig, wenn in der ersten Analyse eine Einschränkung oder Pathologien festgestellt werden. In seltenen Fällen ist ein drittes Spermiogramm erforderlich (Kostengutsprache einholen!).

MAR-Testung

  • Gehört nicht zur Primärdiagnostik, ist aber sinnvoll bei pathologischem Spermiogramm
  • Bei MAR (Mixed-Antiglobulin-Reaction)-Test > 50 % ist eine Insemination/IVF in der Regel nicht erfolgversprechend

Beachte: Die Durchführung des MAR ist fehleranfällig –> ein positiver Test verlangt bestätigende Zweittestung zur Diagnose von MAR-Antikörpern.

 

Interpretation Spermiogramm

Oligozoospermie

  • Auftreten z. B. im Rahmen von lokalen/systemischen Infektionen, Chromosomenstörungen, Mikrodeletion, kurzer Karenzzeit
  • Wenn der Befund in 2. Spermienanalyse bestätigt wird, sind weitere Abklärungen erforderlich (ausser bei akuter genitaler Infektion oder Tumorleiden).

Abklärungen

  • Chromosomenanalyse: Bei Oligozoospermie < 10 x 106/ml ist eine Karyotypisierung erforderlich
  • Testung auf Y-chromosomale Mikrodeletion bei Spermienzahl < 1 x 106 /ml (liegt bei nicht-obstruktiver Azoospermie in
    8–12 % vor, bei hochgradiger Oligozoospermie oder Azoospermie in 3–10 %)

Beachte: Die Indikation für diese Abklärungen sollte durch ein spezialisiertes Zentrum gestellt werden, das das Paar auch bezüglich assistierter Fertilisierung beraten kann.

Azoospermie

  • Bei Azoospermie ist immer an eine obstruktive Azoospermie zu denken
  • CFTR*-Gen-Mutations-Testung ist obligat
  • Aklärungen wie unter Oligospermie.

* Cystische Fibrose Transmembran Rezeptorgen

Beachte: Abklärung durch Urologen mit andrologischer Erfahrung.

 

Weitere Diagnostik

  • Bei „reduzierter Ejakulatqualität“ –> Bestimmung von FSH, Testosteron gesamt und LH
  • Bei Androgenmangelsyndrom und bei Hypogonadismus, erektiler Dysfunktion, Gynäkomastie –> zusätzlich Prolaktin, Östradiol, SHBG.

 

Therapeutische Optionen

Medikamentös

  • Hormone sind nur wirksam bei
    • Hypogonadotropem Hypogonadismus: HCG*, HMG*, FSH* (Therapie beim Spezialisten)
    • Hyperprolaktinämie: Dopaminagonisten
      Hinweis: Eine Normalisierung der Spermatogenese ist erst 3 bis 6 Monate nach Normalisierung der Hormonparameter zu erwarten. 

* HCG = Humanes Choriongonadotropin, HMG = Humanes menopausales Gonadotropin, FSH = Follikelstimulierendes Hormon

Chirurgisch

  • Intrauterine Insemination (IUI): Erfolgsaussichten max. 10–15 % pro Zyklus, bei älteren Frauen noch geringer. Krankenkassen übernehmen Kosten für 3 Zyklen IUI, wenn Spermiogramm erfolgversprechend und Frau unter 40 Jahre
  • In-vitro-Fertilisation (IVF): Mindestvoraussetzung 1–2 Mio. bewegliche Spermien nach Aufbereitung und 5 % normomorphe Spermien. Erfolgsaussichten je nach individuellen Voraussetzungen 20–40 % (ev. nach mehreren Versuchen)
  • Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI): Bei schwerer Oligoasthenoteratozoospermie. Erfolgsrate: 15–20 % pro Zyklus (overall rate: 60 %), am erfolgreichsten bei obstruktiver Azoospermie.

 

Literatur

  1. EAU Guidelines on male infertility. 2018
  2. Leushuis E, et al.: Immunoglobulin G antisperm antibodies and prediction of spontaneous pregnancy. Fertil Steril 2009 Nov;92(5):1659-65.
  3. Anawalt BD: Evaluation of male infertility.UpToDate 09/2021
  4. Anawalt BD: Treatment of male infertility.UpToDate 04/2022

 

Autoren: Dr. med. Felix Huber, PD Dr. med. Corinne Chmiel                                                                            

Erstellt 05/2022  

Wir danken Dr. med. Hartmut Knönagel, FA Urologie FMH und PD Dr. med. Alexander Müller, Chefarzt Uroviva Spital Limmattal, für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Anregungen.

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