Factsheet

Long Covid

Erstellt von: Corinne Chmiel Zuletzt revidiert: 04/2023 Letzte Änderung: 09/2023

Definition

  • Long Covid wird in gewissen Ländern auch PASC genannt (Post acute sequelae of SARS-CoV-2 Infection). In Europa setzt sich die Nomenklatur Long Covid jedoch mehrheitlich durch
  • Die aktuell anerkannteste Definition von Long Covid ist diejenige der WHO: Das Fortbestehen oder die Entwicklung neuer Symptome drei Monate nach der ersten SARS-CoV-2-Infektion, wobei diese Symptome mindestens zwei Monate lang anhalten, ohne dass eine andere Erklärung vorliegt.

Prävalenz 

  • Daten zur Prävalenz von anhaltenden Symptomen nach Covid-Infekt variieren je nach Studie stark, da in den meisten Studien nur Patienten mit bestätigter Infektion eingeschlossen wurden.
  • Die meisten Studien weisen keine Kontrollgruppe von Patienten ohne durchgemachten Covid-Infekt auf
  • Die Prävalenz von Long Covid nimmt im Laufe der Zeit nach der Infektion deutlich ab, wobei der Rückgang zwischen 6 Monaten und 1 Jahr am stärksten ausgeprägt ist, und sich nach 1 Jahr verlangsamt. 
  • Vereinfacht zusammengefast kann gesagt werden, dass die aktuelle Prävalenz von Long Covid in Studien mit bestätigter Infektion auf 20 % und bevölkerungsweit auf 10 % geschätzt wird
  • Von diesen 10­–20 % Long Covid Betroffenen sind rund 70 % der anhaltenden Symptome als mild klassifiziert und die Patient*innen sind wenig beeinträchtigt, 20 % werden als mittelschwer klassifiziert mit deutlichen Symtpomen und  Einschränkungen in Alltag und Beruf, 10 % sind schwer betroffen
  • Die grosse Mehrheit der Patienten mit prolongierten Symptomen durch postakutes Covid ist nur so leicht im Alltag beeinträchtigt, dass eine medizinische Behandlung nicht in Anspruch genommen wird.

Risiko- und protektive Faktoren

  • Ein schwerer Covid-Akutverlauf ist ein Risikofaktor für die Entsehung eines Long Covid (dann jedoch eher organspezifische Folgeerscheinungen (z. B. pulmonale bei Intubierten))
  • Unklar bleibt noch, ob allenfalls die initial gefährlicheren Virusvarianten mit einer höheren Prävalenz von Long Covid assoziiert sind als die aktuell weniger gefährlichen zirkulierenden Varianten. 
  • Frauen, ältere Personen, Vorhandensein von gewissen Komorbiditäten wie Übergewicht und psychische Erkrankungen scheinen prädisponierende Faktoren für länger anhaltende Symptome zu sein
  • Patienten, die nach 6 Monaten noch nicht genesen sind, haben einer Studie zufolge mehr vorbestehende Gesundheitsprobleme als die Allgemeinbevölkerung 
  • Die Impfung und Grad der körperlichen Aktivität vor Covid Infekt haben einen protektiven Effekt auf die Prävalenz von Long Covid
  • Für eine Behandlung mit Nilmetavir (Paxlovid®) zeigen die Daten aktuell in eine leicht positive Richtung, jedoch nur bei der Behandlung von Risikopatienten.

Pathomechanismus

  • Die Ursachen sind nicht geklärt
  • Ähnliche Verläufe mit pathophysiologische Parallelen sind auch bei anderen Coronaviren bekannt (SARS und MERS)
  • Es werden immunologische/inflammatorische, latent anhaltende Virusaktivität und gerinnungstechnische Aspekte im Sinne einer Multisystemerkrankung diskutiert. Es scheint pathophysiologische Überlappungen mit myalgischer Encephalitis zu geben, z. B. nach EBV-Infekt und Chronic Fatigue Syndrom. Psychosomatische Aspekte scheinen häufig mitzuspielen. Eine Tendenz zur Überlappung mit Traumatisierungserlebnissen in der Vergangenheit scheint sich herauszukristallisieren.

Prognose

  • In einer aktuellen Zürcher Kohortenstudie sind 23 % nach sechs Monaten noch nicht vollständig von der Covid-Infektion genesen. 9 % weisen über die Dauer von 2 Jahren fortbestehende Symptome auf, 12,5 % einen wechselhaften Verlauf
  • Symptome können, nach einer initial nach Abklingen des akuten Infekts beschwerdearmen oder sogar beschwerdefreien Zeit, wieder oder auch neu auftreten und im Verlauf schwanken
  • Die Ausprägung der Beschwerden kann durch bestimmte Trigger variieren (psychische oder körperliche Belastung, Menstruation, Hitze, Alkohol etc.)
  • Die meisten Betroffenen erholen sich teilweise langsam oder spontan mit ganzheitlicher Unterstützung, Ruhe, symptomatischer Behandlung und langsamer Steigerung der Aktivität
  • Schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen sind selten
  • Deshalb sollten Betroffene pragmatisch behandelt und Überdiagnostik sollte vermieden werden.

Mögliche Symptome

  • Die Symptome nach akutem Covid-19 sind sehr unterschiedlich (Tabelle 1). In den Studien wurden bisher 205 verschiedene Symptome von 10 verschiedenen physiologischen Regionen/Organregionen beschrieben
  • Die meisten Studien klassifizieren die erwähnten Symptome nicht nach Schweregrad und auch nicht danach, wie häufig deswegen eine Fachperson konsultiert worden ist. Die am häufigsten berichteten Symptome umfassen: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Geruchs- und Geschmacksveränderungen, kognitive Beeinträchtigungen, Schlafstörungen und Angstzustände, anhaltender Husten, und Depression, vasovagale Zustände/posturales Tachycardie Syndrom. Einige Patienten berichten über einzelne vorhandene Symptome, andere über mehrere gleichzeitig oder abwechselnd vorhandene Symptome
  • Es kristallisieren sich immer mehr gewisse Cluster von Symptomen heraus, eine einheitliche Klassifikation dieser Cluster mit konkreten Handlungsempfehlungen ist noch in Entstehung.

 
Tabelle 1: Mögliche Long-Covid-Symptome

 * Link: Covid-Zehen


Warnsignale für weitere Abklärungen

  • Ruhe-Tachykardie
  • Synkopen bei Belastung
  • Akute oder schwere/sich verschlechternde Dyspnoe
  • Ruhe-Hypoxie (< 94 %) oder Sauerstoffentsättigung während körperlicher Belastung
  • Kardiale Thoraxschmerzen
  • Im Verlauf neu auftretende, lange anhaltende, sich nicht verbessernde oder verschlechternde kardiale, respiratorische oder neurologische Symptome
  • Neu aufgetretene Verwirrungszustände oder Hinweise für fokal neurologische Ausfälle
  • Schwere oder sich deutlich verschlechtende Depression oder Angstzustände/Hinweise für Suizidalität oder Fremdgefährdung.

Empfohlene Basis-Diagnostik

  • Labor: Blutbild, Leberwerte, Kreatinin, CRP
    • Bei Müdigkeit/Niedergeschlagenheit: Ferritin, BNP, TSH
    • Bei thorakalen Beschwerden zusätzlich Troponin, allenfalls D-Dimere.
      Hinweis: Diese Parameter können im Rahmen eines postinfektiösen Geschehens falsch positiv ausfallen, aber ein negatives Resultat kann die klinische Unsicherheit reduzieren.
  • Thorax-Röntgen: 12 Wochen nach akuter Infektion, bei anhaltenden pulmonalen Symptomen, und wenn bisher noch keines angefertigt wurde
  • EKG bei Thoraxschmerzen oder unerklärte Atemnot
  • Allenfalls Orthostase-Test: Dieser kann den Patienten deutlich vor Augen führen, dass das vegetative Nervensystem eine Dysregulation aufweist und als Basis zu konkreten Handlungshinweisen dienen. Im Gegensatz zum Schellong Test für die Orthosthase-Diagnostik, sollte hier für die Diagnose des Posturalen Tachykardie-Syndroms der längere Test über 10 min stehend durchgeführt werden
  • Allenfalls Belastungstoleranztest in der Praxis mit Pulsoxymetrie, angepasst an die Fähigkeiten der Patient*innen (z. B. 1-Minute-Sit-to-Stand-Test, 40 Schritte gehen so zügig wie möglich), Messprotokoll führen mit Skala für Atemnot, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung
  • Allenfalls Lungenfunktionsprüfung
  • Allenfalls ein Pulsoxymeter nach Hause geben zur Monitorisierung und Objektivierung der pulmonalen Symptome, die auch unter Alltagsbelastungen persistieren oder auftreten – zusammen mit Puls- und Blutdruckmessung, je nach Symptomen. Klare Grenzwerte definieren, bei denen eine Vorstellung in der Arztpraxis indiziert ist. Wenn die Ruhe-Sättigung normal ist und der Belastungstest in der Praxis eine normale SpO2 zeigt, ist eine SpO2-Messung zu Hause nicht angezeigt, da diese die Betroffenen verunsichert und keinen zusätzlichen Nutzen bringt.
  • Screeningtest auf Post-exertionelle Malaise (PEM)
  • Screening tool neuropathische Schmerzen.

Beratung Betroffener ohne Warnsignale

  • Die Betroffenen mit einem neuen Covid-19-Infekt oder anhaltenden Beschwerden mündlich oder schriftlich über mögliche Symptome informieren und beruhigend auf sie einwirken
  • Es gibt aktuell keine etablierte Therapie gegen Long Covid. Vitamine oder Supplemente oder sogar systemische Steroide oder Plasmapheresen haben keinen oder sogar einen schädlichen Effekt
  • Betreffend Erholungszeit informieren, dass diese individuell sehr unterschiedlich ausfällt, dass aber die meisten Symptome nach 6-12 Monaten abklingen
  • Wenn neue oder anhaltende Symptome auftreten, können sie sich unvorhersehbar ändern.
  • Die Problematik langanhaltender Symptome (ab 3 Monate) mit Arbeitsausfall und drohender Invalidität im Rahmen eines Post COVID Zustandbilds wurde von der Swiss Insurance Medicine erkannt. Es werden aktuell Empfehlungen für die versicherungsmedizinischen Abklärungen erarbeitet mit dem Ziel eines standardisierten Abklärungs-Algorithmusses.

Therapie und Selbstmanagement

  • Aktuell gibt es noch keine medikamentöse Behandlung des Long Covid
  • Patient*innen auf die gute Prognose hinweisen!
  • Generell gilt, das durch ein gutes Management der täglichen Energiereserven Symptome reduziert werden können
  • Patient*innen wird empfohlen, ein Symptom- und Aktivitäts-Tagebuch zu führen, um ihr Energielevel zu dokumentieren, allfällige Verbesserungen zu überprüfen und festzustellen, wann sie sich besser fühlen, welche Aktivitäten einen höheren Energieaufwand erfordern und wie sie vorausplanen können
  • Realistische Ziele setzen
  • Patienten über das biopsychosoziale Modell aufklären (–> SAEZ )
  • Beratung, wohin sich die Patientin/der Patient wenden kann/soll, wenn sie/er Sorgen wegen der Symptome hat oder Unterstützung im Selbstmanagement braucht (symptomorientierte Interdisziplinarität, Krankenhausexterne Hilfe und Pflege [Spitex], finanzielle Unterstützung/Sozialdienst, Selbsthilfegruppen, Online-Foren, Apps empfehlen, Physiotherapie, Ergotherapie, Psychotherapie, Psychosomatische Beratung)
  • Bei Belastungsintoleranz (PEM):
    Zur Primärbehandlung (bei autonomer Störung) gehören:
    • Medizinische Kompressionsstrümpfe der Klasse 2 bis zur Taille (wenn sie vertragen werden)
    • Erhöhte Salzzufuhr (6–8 g/Tag), wenn keine Kontraindikationen (z. B. arterielle Hypertonie) be-stehen
    • Flüssigkeitszufuhr 2–3 Liter (wenn keine Kontraindikation besteht)
    • Regelmässige kleine Mahlzeiten
    Ausserdem:
    • Ergotherapie oder spezielle Therapie mit Schwerpunkt Energiemanagement
    • Schulung und Therapie mit spezialisierter Physio- und Ergotherapie zur Vermeidung von PEM-Episoden
    • Die Sekundärbehandlung vom posturale Tachykardiesyndrom umfasst Betablocker (z. B. Propranolol) oder Ivabradin.

  • Generell
  • Unterstützung bieten in der Diskussion mit Vorgesetzten und Schulen über die Rückkehr zur gewohnten Lebensweise, phasenweise Wiedereinstieg ermöglichen
  • Über Warnsymptome aufklären, wann eine Ärztin/ein Arzt konsultiert werden sollte
  • „Shared Decision Making“ anwenden zur Entscheidung, ob der spontane Verlauf der Beschwerden noch beobachtet werden kann oder ob weitere Untersuchungen indiziert sind.

Mögliche Überweisungen/Links

Literatur

Literatur bei der Verfasserin.

 

Autorin: Prof. Dr. med. Corinne Chmiel                                                                                                      09/2023

Danksagung: Wir danken Milo Puhan und Tala Ballouz, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich (Covid Forschungsgruppe) für die Durchsicht des Manuskripts und für wertvolle Anregungen.     

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