Guideline

Hereditäre Hämochromatose

Erstellt von: Albina Nowak, Corinne Chmiel, Uwe Beise Zuletzt revidiert: 04/2023 Letzte Änderung: 04/2023

Aktualisierung 04/2023

  • Die Guideline wurde vollständig auf Aktualität geprüft
  • Es gibt keine praxisrelevanten Änderungen in Diagnostik und Therapie der Hereditären Hämochromatose (HH)
  • Kapitel 4 (Diagnostik) wurde neu bearbeitet und erweitert.

 

1. Definition und Epidemiologie (1–5)

  • Die Hereditäre Hämochromatose (HH) ist eine autosomal-rezessive Speicherkrankheit, die zu ausgeprägten Eisenablagerungen in verschiedenen Organen, insbesondere der Leber, führen kann
  • Fast alle primären (hereditären) Hämochromatosen werden durch eine Mutation im HFE-Gen hervorgerufen. Es sind über 20 Mutationen des HFE-Gens beschrieben. Besonders klinisch relevant ist die HFE-Genmutation C282Y
    • C282Y homozygot (C282Y/C282Y): 86 % der Fälle in CH
    • C282Y und H63D heterozygot (= Compound Heterozygotie): Seltene, leichte Form (4 % in CH)
    • H63D homozygot: Sehr selten, leichte Form
    • Andere HFE-Genmutation-Konstellationen prädisponieren nicht zu vermehrter Eisenaufnahme
    • Nicht-HFE-assoziierte Formen der HH sind selten. 
  • Prävalenz: 5/1‘000 für die homozygote Form, die Penetranz ist allerdings gering
  • Geschlechtsspezifische Manifestation (Phänotyp) der HH: Männer : Frauen = 5–10 : 1
  • Etwa 38–50 % der Patienten mit C282Y-Mutation entwickeln eine Eisenüberladung, etwa
    10–33 % eine HH-assoziierte Erkrankung. Die Daten sind allerdings nicht sehr zuverlässig (2, 3)
  • Hohes Alter bei Diagnosestellung der Hämochromatose ist der Hauptfaktor für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms im Langzeitverlauf (7)
  • Alkoholkonsum ist der Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von Hepatopathie bei Hämochromatose-Patienten. Weitere wichtige Risikofaktoren sind Hepatitis B und C.

 

2. Pathophysiologie (1, 4)

  • Ursächlich für die HH ist die defekte Expression des HFE-Proteins auf den Hepatozyten. Das HFE-Protein bindet normalerweise an den Transferrin-Rezeptor und führt dazu, dass Transferrin und Eisen in die Leber aufgenommen wird. Bei der HFE-Hämochromatose ist diese Bindung unzureichend und führt zu einem vorzeitigen Abbau des HFE-Transferrin-Komplexes. Entsprechend erhält die Leber ungenügende Information über die Eisenladung im Blut und kann somit nicht die hepatische Eisenhormonproduktion (Hepcidin) aktivieren, die zu einer Verminderung der Eisenaufnahme im Darm und Eisenfreisetzung aus dem retikuloendothelialen System führen würde
  • Die je nach Ausprägung bis auf die 2–4-fach gesteigerte intestinale Eisenresorption (entsprechend Akkukumulation um bis zu 1 g/Jahr) kann zu einer progredienten toxischen Eisenüberladung in den Parenchymzellen verschiedener Organe führen – insbesondere in der Leber und in den Gelenken, seltener im Pankreas, im Herzen und in der Hypophyse.

 

3. Klinik (1, 6)

  • Bei den meisten Patienten treten die ersten Symptome im Alter von 40–60 Jahren auf. Bei Frauen sind Symptome vor der Menopause ungewöhnlich, da über den Eisenverlust bei der Regelblutung und Schwangerschaften ein gewisser Schutz besteht. Die Ferritin-Werte steigen erst 10–20 Jahre nach der Menopause auf Werte, die 400 µg/l meist nicht übersteigen – und damit zu gering sind, um einen Krankheitswert zu haben
  • Erhöhte Transferrinsättigung geht einer Ferritinerhöhung voraus.

Symptome

  • Müdigkeit, Oberbauchschmerzen
  • Arthralgien und Arthrose, insbesondere der Metacarpophalangeal Gelenke II und III, des OSG und des Handgelenks. Sekundäre Chondrokalzinose ist ebenfalls möglich.

Selten

  • Hyperpigmentation, v. a. an sonnenexponierten Stellen
  • Hepatomegalie
  • Diabetes mellitus
  • Impotenz (Hypogonadismus sekundär > primär)
  • Kardiopathie mit möglichen Herzrhythmusstörungen.

 

4. Diagnostik (1, 6, 8, 12, 14) (–> s. a. Algorithmus)

Zielgruppen

  • Ein bevölkerungsweites Screening auf HH wird nicht empfohlen (7)
  • Bei folgenden Patienten sollte eine Labor-Diagnostik auf HH durchgeführt werden

Bei Erkrankungen oder Laborauffälligkeiten

  • Unklar erhöhte Leberwerte (Transaminasenerhöhung bei HH meist < 2 x der Norm)
  • Erhöhte ALT und gleichzeitige MCP-Arthropathie sind besonders sensitive und spezifische HH-Zeichen, die schon im frühen Stadium der HH auf die richtige Diagnose lenken können (Kölmel et al., in press)
  • Diabetes mellitus Typ 2 bei gleichzeitiger Hepatomegalie und/oder abnormalen Transaminasewerten
  • Atypische Arthropathie, v. a. bei jungen Patienten
  • Unklare Kardiopathien (insbesondere junge Patienten mit Herzinsuffizienz)
  • Unklarer Hypogonadismus.

Bei positiver Familienanamnese

  • Alle erstgradig Verwandten eines Patienten mit HH (homozygot C282Y) im Alter zwischen 18 und 30 J.

Differentialdiagnosen

Die wichtigsten Differentialdiagnosen einer Ferritin-Erhöhung sind

  • Alle Hepatopathien: Äthyltoxisch, medikamentös induziert, Steatosis hepatis, viral
  • Entzündungen
  • Hämolyse
  • Seltener: Neoplasien

Labor

⇒ Ferritin ist auch ein Akutphasenprotein, deshalb bei Verdacht auf Hämochromatose immer alle folgenden Laborwerte mitbestimmen

  • Blutbild/CRP
  • Serumferritin
  • Nüchtern-Transferrin (Tf)-Sättigung
  • Leberfunktionswerte (Transaminasen, Bilirubin, Alkalische Phosphatase)
    Das Screening bei Personen mit positiver Familienanamnese umfasst schon initial zusätzlich eine HFE-Genotypisierung.

Interpretation

  • Erhöhtes Ferritin beweist keine Eisenüberladung, sofern nicht eine HH C282Y (homozygot) oder eine andere sekundäre Erkrankung mit Eisenüberladung vorliegt (z. B. Hämoglobinopathien, Myelodysplasie)
  • Ferritin-Sensitivität für pC282Y (homozygot) (13)
    Sensitivität 88 % bei Ferritin > 300 µg/l bei Männern
    Sensitivität 57 % bei Ferritin > 200 µg/l bei Frauen
    Negative Predictive Value (NPV): 97 %  (beide Geschlechter)
  • Tf-Sättigung > 45 % und Ferritin ≥ 1‘000 µg/l erhärten den Verdacht auf eine HH.
    Tf-Sättigung > 60 % bei Männern bzw. > 50 % bei Frauen ist zuverlässig diagnostisch

    Beachte: Bei jüngeren Patienten mit Hämochromatose kann die Tf‐Sättigung schon erhöht sein, Ferritin aber noch normal. Tf‐Sättigung ist nahrungsabhängig und unterliegt einem starken zirkadianen Rhythmus. Die Höhe des Serumferritins widerspiegelt den Schweregrad der Eisenüberladung bei HH.

Konsequenzen/Monitoring

  • Bestätigt sich beim Labor-Screening der Verdacht auf eine HH, soll eine HFE-Genotypisierung mittels PCR erfolgen
  • Bei Homozygoten im Alter ab 55 Jahre, die Ferritin-Spiegel im Referenzbereich aufweisen, kann die Überwachung eingestellt werden, da es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Eisenüberladung sich noch einstellt oder klinisch relevant wird.

Leberbiopsie/Fibroscan

  • Bei Ferritinwerten > 1‘000 μg/l und erhöhten Transaminasen zu erwägen, um den Fibrosegrad zu bestimmen, da bei ausgeprägter Fibrose und Zirrhose das HCC-Risiko deutlich erhöht ist und engmaschige Ultraschalluntersuchungen und die Bestimmung von Alpha1-Fetoprotein (AFP) empfehlenswert sind. Falls Leberbiopsie zu riskant oder nicht erwünscht ist, kann ein Fibroscan durchgeführt werden, wobei die Leberbiopsie eine bessere Vorhersage über den Ausmass der Fibrose machen kann als der Fibroscan.

 

Abbildung: Abklärungs-Algorithmus bei Verdacht auf Hereditäre Hämochromatose (HH)

 

Weitere Abklärungen

  • Je nach Klinik: Bei Hinweisen auf Endokrinopathie –> Hormonachsen abklären (Testosteron, TSH und HbA1c)
  • Hepatitis-Status ermitteln, falls negativ –> Impfung
  • MRI Leber (HCC, Lebermorphologie), Lebereisenkonzentration mittels MRI bei Hyperferritinämie und negativer Genetik (bei dieser Konstellation sollte differentialdiagnostisch an NASH [metabolisches Syndrom] bzw. Alkoholkonsum gedacht werden)
  • Sonographie Abdomen
  • Echokardiographie, EKG bei kardialer Anamnese/Klinik
  • Konventionelles Röntgen der betroffenen Gelenke.

Screening (autosomal-rezessiver Erbgang)

  • Geschwister, Partner bei vielen Kindern –> im Alter ab 18 Jahren Tranferrinsättigung und Ferritin bestimmen
  • Bei homozygoten Erbträgern soll Ferritin jährlich kontrolliert werden, wenn der Ferritinwert über den Normbereich ansteigt halbjährlich.

 

5. Therapie (1, 6, 10)

Phlebotomie

Die Aderlasstherapie ist die Behandlung der Wahl. Bei genetisch bestätigter Hämochromatose sollte die Therapie bei erhöhten Ferritinwerten (Männer > 300 μg/l, Frauen > 200 μgingeleitet werden (10).

Ziel

  • Ferritin: 50–100 μg/l

    Hinweis: Abweichend davon werden z. T. auch Ferriitin-Zielwerte bis 150 μg/l akzeptiert.

Vorgehen

  • Initiale Aderlasstherapie 1 x/Woche mit Entziehen von 450–500 ml Vollblut (womit ca. 250 mg Eisen entfernt werden), bei sehr hohen Ferritinwerten alle 5 Tage
  • Auf gute Hydrierung achten, gleichentags keinen übermässigen Sport treiben
  • Erhaltungstherapie: 3–6 Phlebotomien/Jahr sind meist ausreichend.

Verlaufskontrollen

  • Ferritin jeweils nach 3 Aderlässen, Hämoglobin häufiger kontrollieren. Intervall vergrössern bei Anämie.

    Beachte: Sollte das Ferritin auch ohne Aderlass nicht mehr ansteigen, ist an eine okkulte Blutung zu denken
    (z. B. Kolon-Ca).

Wirksamkeit/Nutzen der Therapie

  • Aderlasstherapie lindert die Beschwerden wie Müdigkeit und Oberbauchschmerzen und normalisiert die Laborparameter (z. B. Transaminasen oder Glukose)
  • Manifeste Organschäden sind nur teilweise reversibel, Gelenkschmerzen sprechen in der Regel nicht auf die Aderlasstherapie an.

Prognose

  • Hängt massgeblich von der Schwere des Organbefalls ab, insbesondere der Leber
  • Bei ausgeprägter Leberfibrose oder Zirrhose ist die Lebenserwartung verkürzt, ansonsten jedoch normal (9).

Ernährung

  • Spezielle, eisenarme Diät ist nicht notwendig. Aderlasstherapie und ausgewogene Ernährung bietet die beste Ausgangslage für den Gesundheitszustand
  • Nicht exzessiv rotes Fleisch, Innereien (enthält viel Eisen), Vitamin C-Supplemente (verbessern Eisenaufnahme aus dem Darm) und Weisswein konsumieren
  • Multivitaminpräparate, die Eisen enthalten, sollten nicht eingenommen werden.

 

6. Literatur

  1. Krayenbühl, et al.: Hämochromatose (hereditäre, «primäre» Hämochromatose). Praxis 2007; 96: 2029 –2036.
  2. Allen KJ, et al.: Iron-overload-related disease in HFE hereditary hemochromatosis. N Engl J Med. 2008;358(3):221.
  3. Olynyk JK, et al.: Evolution of untreated hereditary hemochromatosis in the Busselton population: a 17-year study. Mayo Clin Proc. 2004;79(3):309.
  4. Schrier SL, Bacon BR: Clinical manifestations and diagnosis of hereditary hemochromatosis. Uptodate, aufgerufen 04/2023.
  5. Wood MJ, et al.: Clinical cofactors and hepatic fibrosis in hereditary hemochromatosis: the role of diabetes mellitus. Hepatology. 2012 Sep;56(3):904-11.
  6. Bacon BR, et al.: Diagnosis and management of hemochromatosis: 2011 practice guideline by the American Association for the Study of Liver Diseases. 2011;54(1):328.
  7. Nowak A, Giger RS, Krayenbuehl PA: Higher Age at Diagnosis of Hemochromatosis Is the Strongest Predictor of the Occurrence of Hepatocellular Carcinoma in the Swiss Hemochromatosis Cohort: A Prospective Longitudinal Observational Study. Medicine (Baltimore). 2018 Oct;97(42):e12886. doi: 10.1097/MD.0000000000012886).
  8. Whitlock EP, et al.: Screening for hereditary hemochromatosis: a systematic review for the U.S. Preventive Services Task Force. Ann Intern Med. 2006;145(3):209.
  9. Niederau C, et al.: Survival and causes of death in cirrhotic and in noncirrhotic patients with primary N Engl J Med. 1985;313(20):1256.
  10. Pietrangelo A, et al.: EASL clinical practice guidelines for HFE hemochromatosis. J Hepatol. 2010 Jul;53(1):3-22.
  11. Bacon BR: Management and prognosis of hereditary hemochromatosis. UpToDate, aufgerufen 04/2023.
  12. Bardout-Jacquet E, et al.: Non-invasive diagnosis and follow-up of hyperferritinaemia. Clinics and Research in Hepatology and Gastroenterology,Volume 46, Issue 1, 2022.
  13. ACG Clinical Guideline: Hereditary Hemochromatosis. The American Journal of Gastroenterology114(8):p 1202-1218, August 2019
  14. Olynyk JK, Ramm GA: Hemochromatosis. N Engl J Med 2022; 387:2159-2170.

 

7. Impressum

Diese Guideline wurde im April 2023 aktualisiert. 
© Verein mediX schweiz

Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel  

Redaktion
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Maria Huber

Autoren
PD Dr. med. Albina Nowak
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Uwe Beise

Diese Guideline wurde ohne externe Einflussnahme unter Mitarbeit aller regionalen mediX Ärztenetze und assozierter Ärztenetze in der Schweiz erstellt. Es bestehen keine finanziellen oder inhaltlichen Abhängigkeiten gegenüber der Industrie oder anderen Einrichtungen oder Interessengruppen.

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