Guideline

Funktionelle Dyspepsie

Erstellt von: Beat Helbling, Pascal Frei Zuletzt revidiert: 02/2023 Letzte Änderung: 02/2023

Nah­rungs­mit­te­l­un­ver­träg­lich­kei­ten

Für PatientInnen

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Hinweis

Das Krankheitsbild der Funktionellen Dyspepsie wurde bislang in der Guideline Dyspepsie (Oberbauchbeschwerden) abgehandelt. Die darin ausserdem enthaltenen Themen Ulkuskrankheit/H. pylori-Infektion und Gastroösophageale Refluxerkrankung sollen künftig ebenfalls als separate Guidelines erscheinen.

 

 

1. Definition, Pathologie, Epidemiologie

Definition

  • Funktionelle Dyspepsie (FD), akut oder chronisch, ist ein Sammelbegriff für abdominelle Beschwerden, die Patient oder Arzt im Oberbauch lokalisieren und keine Pathologie in objektivierbaren Abklärungen zeigen
  • Diagnosekriterien (mindestens ein Kriterium muss erfüllt sein) für eine funktionelle Dyspepsie (FD) nach Rom-IV-Kriterien sind (1)

  • Sodbrennen kann ein Symptom bei Patienten mit einer FD sein. Überlappung mit Gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD) und Reizdarmsyndrom sind häufig.

In der Literatur wird teilweise von 2 Subtypen gesprochen. Diese Unterteilung hat jedoch meist nur in Studien eine Relevanz: PDS (Postprandial Distress Syndrome)-Typ: Symptome getriggert oder verschlimmert durch Essen (Völlegefühl, Sättigung, andere postprandiale Symptome). EPS (Epigastric Pain Syndrome)-Typ: Nicht an Mahlzeiten gebundener epigastrischer Schmerz und Brennen.

Epidemiologie

  • Dyspeptische Beschwerden sind häufig. Je nach Land und verwendeter Definition sind bis zu 20 % der Weltbevölkerung betroffen (2)
  • Etwa 10 % der Bevölkerung (Studie aus USA, UK, Kanada) erfüllen die Rom-IV-Kriterien (3)
  • Die FD kann in jedem Lebensalter auftreten.

Pathogenese (4, 5)

Ist nicht abschliessend geklärt. Wichtige Einflussfaktoren sind

  • Viszerale Hypersensitivität: Wahrnehmungsschwellen für Dehnungs- und Schmerzreize sind fälschlich herabgesetzt, so dass Reizwahrnehmungen an sich physiologischer Stärke durch das „little brain of the gut“ überbewertet werden. Dies ist gehäuft bei Reizdarm-Syndrom
  • Motilitätsstörung: Von Magen (fehlende Relaxation, Akkomodation, Peristaltik, Entleerung, Öffnung des Pylorus) und Dünndarm; postinfektiöse Motilitätsstörung
  • Helicobacter pylori-Infektion: H. pylori spielt bei einer Subgruppe nur potentiell eine Rolle bei der Entwicklung der Dyspepsie-Symptome (H. pylori assoziierte FD)
  • Psychische Faktoren: FD ist assoziiert mit den Komorbiditäten Depression und Angst.

 

2. Diagnostik (4, 5, 6)

Vorbemerkungen

  • Allein klinisch ist eine Unterscheidung der Funktionellen Dyspepsie von anderen Erkrankungen mit Oberbauchbeschwerden nicht sicher möglich
  • Ohne Alarmsymptome ist eine maligne Erkrankung unwahrscheinlich (6–9). Bei Vorliegen nur eines Alarmsymptoms beträgt der PPV für das Vorliegen eines Magenkarzinoms 3 % (10).

Anamnese

Für eine funktionelle Dyspepsie sprechen

  • Beschwerdedauer: Variable Beschwerden ohne wesentliche Progredienz, diffuse und wechselnde Schmerzlokalisation, Stressabhängigkeit der Symptomatik
  • Timing, Intensität und Charakter: Im Tagesverlauf zunehmend, postprandial, Krampf
  • Lokalisation: Retrosternal, epigastrisch, subkostal, Head-Zone
  • Überlappung zu Symptomen des unteren GI-Traktes (Reizdarm: Blähungen, Rumoren, veränderte Stuhlfrequenz, -konsistenz)
  • Nicht-gastrointestinale Begleitbeschwerden: Schwitzneigung, Kopfschmerzen, Reizblase, funktionelle Herzbeschwerden.

Differentialdiagnostische Hinweise

  • Gibt es Alarmsymptome? (s. u.)
  • Sodbrennen weist auf GERD hin, es kann aber Überlappungen geben –> siehe GL GERD (Guideline folgt)
  • Medikamente: ASS, NSAR –> NSAR Dyspepsie, Ulkus –> GL Ulkuskrankheit/H. pylori Infektion (Guideline folgt)
  • Ausstrahlung in den Rücken –> Chronische Pankreatitis? Aortendissektion?
  • Gewichtsabnahme –> Malignom?
  • Episodischer epigastrischer Schmerz im re. oberen Abdomen mit Erbrechen/Übelkeit –> Cholelithiasis
  • Aggravation durch Nahrungsmittel –> orales Allergiesyndrom, Laktose, Fruktose)? Siehe GL Nahrungsmittelunverträglichkeiten
  • Auftreten nach Infekten –> postinfektiöse Motilitätsstörung (kann bis zu mehreren Monaten noch anhalten)?
  • Systemerkrankungen: Diabetes, Amyloidose, Neuropathie, M. Parkinson?

Alarmsymptome

  • Höheres Lebensalter bei Erstmanifestation
  • Nächtlich weckende Beschwerden
  • Dysphagie, Odynophagie, Bolusereignis (–> Eosinophile Ösophagitis, peptische Stenose, Soor, Malignom)
  • Anhaltendes Erbrechen
  • Nicht gewollter Gewichtsverlust
  • Unerklärliche Eisenmangelanämie
  • Belastende Familienanamnese für Malignome (junges Alter bei Manifestation in der Familie, HNPCC/Lynch).

Körperliche Untersuchung

  • Palpabler Tumor im Oberbauch?
  • Pathologische Lymphknoten im klinischen Status?
  • Ikterus?

Labor/Endoskopie/Ultraschall

  • H. pylori-Test
    • Grundsätzlich nur testen, wenn bei H. pylori-Nachweis auch eine Eradikation gemacht wird und eine Eradikation vom Patienten gewünscht wird
    • Bei Patienten < 60 J. mit neu aufgetretenen FD-Symptomen soll zunächst kein Test auf H. pylori erfolgen. Ausnahme: Bei Patient*innen mit Migrationshintergrund aus Magenkarzinom-Hochprävalenzländern (Süd/Ost-Europa, Asien, Afrika).
  • Endoskopie (Ösophagogastroduodenoskopie)
    • Bei Patient*innen ab 60 J. mit neu aufgetretenen FD-Symptomen (6), sowie bei Patient*innen mit Alarmsymptomen (s. o.) und bei therapieresistenten Beschwerden (z. B. nach adäquater probatorischer Behandlung mit PPI).
  • Labor
    • Schwangerschaftstest (wenn SS eine Option ist), Blutbild/CRP, BZ/HbA1c, Leberenzyme/Cholestasewerte, Kreatinin.
  • Ultraschall Abdomen
    • Bei gleichzeitig bestehendem Ikterus oder einer Schmerzsymptomatik, die auf eine mögliche biliäre oder pankreatische Ursache hindeutet.

 

3. Therapie (4, 6)

Aufklärung

Da funktionelle Abdominalbeschwerden häufig einen langjährigen Verlauf und keine eigentliche Heilung zeigen, ist eine ausführliche Beratung wichtig

  • Aufklärung über den (gutartigen) Charakter der Erkrankung
  • Relativierung überhöhter Ansprüche an einen Behandlungserfolg
  • Hinweis auf natürliche Undulation der Krankheitsintensität (Phasen von Beschwerdearmut, -freiheit wechseln mit intensiveren Beschwerden)
  • Verhaltensratschläge: Bewegung, Stressabbau, Zeit nehmen fürs Essen, Hinsetzen, Kauen, Reduktion fettreicher Speisen, Beachten individueller Unverträglichkeiten
  • Abraten von unsinniger oder auch wiederholter Diagnostik (z. B. serologische Allergietests, wiederholte Endoskopien)
  • Abraten/Relativieren von unsinnigen/unerprobten Diäten oder Therapien (z. B. Prä-, Pro-, Symbiotika, Darmpilzsanierung).

Pharmakotherapie

  • Protonenpumpenhemmer (PPI): Bei fehlenden Alarmzeichen wird eine probatorische Behandlung mit PPI 20–40 mg über 4–8 Wochen empfohlen (NNT: 6). Wichtig: Anschliessend unbedingt PPI ausschleichen/wieder absetzen! PPI sollen auch bei Patient*innen verordnet werden, die nach H. pylori-Eradikationstherapie weiter symptomatisch sind (6). Zur Wirksamkeit von PPI bei FD siehe Cochrane Database 2017
  • Wann und wie eine H. pylori-Eradikationstherapie empfohlen wird: Siehe GL Ulkuskrankheit/H. pylori Infektion(Guideline folgt).

Bei erfolgloser Initialtherapie

Bleiben die o. g. Behandlungen erfolglos, kann individuell eine Behandlung mit Prokineta oder Trizyklika versucht werden, die Evidenz ist aber insgesamt ungenügend (Cochrane Database 10/2018).

  • Prokinetika sind vermutlich am ehesten wirksam bei Übelkeit, postprandialem Unwohlsein oder vorzeitigem Sättigungsgefühl, ist jedoch in der Regel keine Dauertherapie
    • Domperidon: 3 x 10 mg/d vor den Mahlzeiten, KI bei Rhythmusstörungen, weniger extrapyramidale UEW als Metoclopramid (12)
    • Metoclopramid: 3 x 10–20Tr./d vor den Mahlzeiten.
  • Trizyklika (z. B. Amitryptilin, Trimipramin) am ehesten bei EPS-Patienten – niedrigdosiert beginnen! Die Evidenz aus Studien ist jedoch gering (keine RCT’s vorhanden). Andere Antidepressiva kommen grundsätzlich nicht in Betracht (SSRI ohne Wirksamkeitsnachweis, SNRI mit unklarem Nutzennachweis) (13, 14)
  • Phytotherapeutika können im Einzelfall erwogen werden. Die Evidenz aus Studien ist gering
    • STW5 (Iberogast®) (17, 18)
      • Dosierung: 3 x 20 Tr./d zu den Mahlzeiten
      • Wirksamkeit: Nach 2 Monaten ist ein Therapieansprechen (gegenüber Plazebo) bei ca. 30 % zu erwarten. Ob die statistisch signifikanten Effekte klinisch relevant sind, wird z. T. angezweifelt (11)
    • Für andere pflanzliche Mittel wie Pfefferminzöl, Kümmel oder Artischocken liegen keine aussagekräftigen Studien vor, sie zeigen aber kaum Nebenwirkungen und sind im klinischen Alltag manchmal wirksam. Das gilt auch für Akupunktur.

Psychotherapie

  • Psychotherapie (z. B. Kognitive Verhaltenstherapie) ist im Einzelfall zu erwägen – bei motivierten Patienten, wenn entsprechende Stressoren verdächtig sind oder Angst und Depression bestehen. Die Studien legen einen Nutzen nahe, sind allerdings von eingeschränkter Qualität (15, 16).

 

4. Literatur

  1. Stanghellini V, Talley NJ, Chan F, et al.: Rome IV – Gastroduodenal Disorders. Gastroenterology 2016 pii: S0016–5085(16)00177–3.
  2. Ford AC, et al.: Global prevalence of, and risk factors for, uninvestigated dyspepsia: a meta-analysis 2015;64(7):1049.
  3. Aziz I, et al.: Epidemiology, clinical characteristics, and associations for symptom-based Rome IV functional dyspepsia in adults in the USA, Canada, and the UK: a cross-sectional population-based study. Lancet Gastroenterol Hepatol 2018 Apr;3(4):252-262
  4. Up to date: Approach to the adult with dyspepsia. UpToDate, aufgerufen 01/2023.
  5. Madisch A, Andresen V, Enck P, Labenz J, Frieling T, Schemann M: The diagnosis and treatment of functional dyspepsia. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 222–32. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0222.
  6. Wauters L, et al.: United European Gastroenterology (UEG) and European Society for Neurogastroenterology and Motility (ESNM) consensus on functional dyspepsia. United European Gastroenterol J.2021;9:307–331.
  7. Kahrilas PJ: Clinical manifestations and diagnosis of gastroesophageal reflux in adults.UpToDate, aufgerufen 01/2023.
  8. Vakil N, Moayyedi P, Fennerty MB, Talley NJ: Limited value of alarm features in the diagnosis of upper gastrointestinal malignancy: systematic review and meta-analysis. Gastroenterology. 2006;131(2):390-401; 659-60.
  9. Fransen GA, Janssen MJ, Muris JW, Laheij RJ, Jansen JB: Meta-analysis: the diagnostic value of alarm symptoms for upper gastrointestinal malignancy. Aliment Pharmacol Ther. 2004;20(10):1045-52.
  10. Walace MB, et al.: Age and alarm symptoms do not predict endoscopic findings among patients with dyspepsia: a multicentre database study. Gut 2001;49:29-34 doi:10.1136/gut.49.1.29 BMJ 2001.
  11. Moayyedi PM, et al.: ACG and CAG Clinical Guideline: Management of Dyspepsia Am J Gastroenterol 2017; 112:988–1013;
  12. Hiyama T, Yoshihara M, Matsuo K, et al.: Meta-analysis of the effects of prokinetic agents in patients with functional dyspepsia. J Gastroenterol Hepatol 2007; 22:304-310.
  13. Wu JC, Cheong PK, Chan YC, et al.: A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of low dose imipramine for treatment of refractory functional dyspepsia (FD). 2011;140:S50.
  14. van Kerkhoven LA, et al.: Effect of the antidepressant venlafaxine in functional dyspepsia: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Clin Gastroenterol Hepatol. 2008;6(7):746.
  15. Hamilton J, Guthrie E, Creed F, Thompson D, Tomenson B, Bennett R, Moriarty K, Stephens W, Liston R: A randomized controlled trial of psychotherapy in patients with chronic functional dyspepsia. 2000;119(3):661.
  16. Soo S, et al.: Psychological interventions for non-ulcer dyspepsia. Cochrane Database Syst Rev 2005;2:CD002301.
  17. Melzer J, et al.: Meta-analysis: phytotherapy of functional dyspepsia with the herbal drug preparation STW 5 (Iberogast). Aliment Pharmacol Ther. 2004 Dec;20(11-12):1279-87.
  18. Ottillinger B, et al.: STW 5 (Iberogast®) - a safe and effective standard in the treatment of functional gastrointestinal disorders. Wien Med Wochenschr. 2013 Feb;163(3-4):65-72. doi: 10.1007/s10354-012-0169-x. Epub 2012 Dec 20. Review. NCBI 02/2013.

 

5. Impressum

Diese Guideline wurde im Februar 2023 erstellt.
© Verein mediX schweiz

Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel

Redaktion 
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Maria Huber

Autoren
Dr. med. Beat Helbling
Dr. med. Pascal Frei

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Diese Guideline wurde ohne externe Einflussnahme unter Mitarbeit aller regionalen mediX Ärztenetze und assozierter Ärztenetze in der Schweiz erstellt. Es bestehen keine finanziellen oder inhaltlichen Abhängigkeiten gegenüber der Industrie oder anderen Einrichtungen oder Interessengruppen.

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