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Chronische Niereninsuffizienz

Erstellt von: Nilufar Mohebbi, Uwe Beise Zuletzt revidiert: 01/2021 Letzte Änderung: 02/2023

Aktualisierung 02/2023

• Bei Diabetikern mit chronischer Niereninsuffizienz sollen SGLT-2-Inhibitoren bei einer GFR ≥ 20 ml/min verschrieben werden (–> Kap. 3.2.)

 

1. Definition, Epidemiologie und Ursachen (1–6)

Definition*

Von einer chronischen Nieren-Krankheit (Chronic kidney disease, CKD) wird gesprochen wenn eine strukturelle oder funktionelle Störung > 3 Monate Dauer fortbesteht und mindestens eines der folgenden Kriterien über mindestens 3 Monate erfüllt ist

  • eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 –> chronische Niereninsuffizienz im engeren Sinne!  
  • Albuminurie > 30 mg/d (Zwecks einfacherer Lesbarkeit wird in dieser ganzen GL auf die ebenfalls gebräuchliche Dimension mg/g verzichtet)
  • Proteinurie > 150 mg/d (Hinweis auf CKD, ist aber kein Kriterium der KDIGO*-Definition)
  • Pathologisches Urinsediment (vgl. 2.2. Urinsediment)
  • Elektrolyt- und andere Abnormitäten (z. B. Glukosurie) als Hinweis auf eine tubuläre Störung
  • Strukturelle Abnormitäten in einer Bildgebung (z. B. Einnierigkeit, Polyzystische Niere, Schrumpfniere, Hydronephrose)
  • St. n. Nierentransplantation.

* „Kidney Disease – Improving Global Outcomes“ (KDIGO)-Guideline 1.1.1 (2012)

Epidemiologie (1)

  • Prävalenz chronische Nierenerkrankung (CKD-Stadien G3–5): Bis ca. 10 % in der erwachsenen Bevölkerung über 18 Jahren und vergleichbaren Industriestaaten (Frauen > Männer)
  • In der Schweiz wird die Prävalenz von mittelschwerer CKD auf 6,5 % und von schwerer CKD auf 0,5 % geschätzt (2)
  • CKD bei Hochbetagten: In deutscher Hausarztpraxis-Studie CKD-Prävalenz bis zu 80 %; weniger als 10 % von ihnen wies ein CKD-Stadium G4 oder höher auf (8)
  • 5 % der Diabetes-Patienten zeigen bereits zum Zeitpunkt der Diagnose eine CKD und ca. 20–50 % der Diabetiker entwickeln im Laufe ihres Lebens eine CKD.

Ursachen

Die Ursachen für eine CKD variieren je nach Land und Ethnizität. In der Schweiz (Daten 2015)

  • Diabetes (20 %)
  • Hypertonie (20 %)
  • Glomerulonephritis (15 %)
  • Polyzystische Nierenerkrankungen (7 %)
  • Interstitielle Nephritis (2 %)
  • Andere: Nephrolithiasis, vesikoureteraler Reflux, Amyloidose etc. (34 %).

 

2. Diagnostik (4, 5, 7, 8)

2.1. Anamnese und körperliche Untersuchung  

Anamnese

  • Grunderkrankungen: Diabetes mellitus, Hypertonie, Adipositas, fam. Nierenerkrankungen wie Zystennieren, Autoimmunerkrankung
  • Akute Infektion
  • Risikofaktoren: Fam. Erkrankung, Nikotin, Kokain
  • Medikamente: Lithium, NSAR, PPI, Chinesische Kräuter, OAK, Bisphosphonate, Calcineurin-Inhibitoren
  • Symptome: Müdigkeit, Leistungsintoleranz, Inappetenz, Gewichtsverlust, Nykturie als Frühsymptom, Juckreiz, Makrohämaturie, Übelkeit (urämische Symptome treten sehr spät auf).

Körperliche Untersuchung

  • Blutdruck, Ödeme, Adipositas?

Klinische Hinweise

  • Die chronische Niereninsuffizienz macht anfänglich keine spezifischen Symptome, diese treten relativ spät auf, meist im Stadium G4
  • Rasch auftretende Anasarka und pathologische Urinfarbe (ausser nach Randenkonsum) sprechen für einen akuten Prozess.
    Beachte: Auch bei chronischen Formen einer Glomerulonephritis können Ödeme plötzlich auftreten!
  • Rasche AZ-Verschlechterung ist charakteristisch für eine akute Niereninsuffizienz, die Folgekomplikationen einer CKD fehlen meist, normale Nierengrössen.

2.2. Technische Untersuchungen

Blut (Serum)

  • Kreatinin: Als Screening-Test für eine CKD nur in Kombination mit Berechnung der GFR aussagekräftig.
    Cave: Bei Schwangeren sinkt das Kreatinin physiologischerweise wegen Verdünnung und Hyperfiltration! Kreatinin ist nicht geeignet zur Diagnose einer akuten Niereninsuffizienz, weil es nur verzögert oder gar nicht reagiert.
    Beachte: Kreatinin-Produktion ist von der Muskelmasse abhängig: Bei viel Muskelmasse ist das Kreatinin physiologisch erhöht, was zu falsch tiefer eGFR führt; umgekehrt bei geringer Muskelmasse tiefes Kreatinin, was zu falsch hoher eGFR führt. –> In diesen Fällen die Cystatin C-eGFR bestimmen oder im stationären Bereich 24-h-Urin (wegen Häufigkeit der falschen Urinsammlung im ambulanten Bereich nicht empfohlen).
  • Errechnete Glomeruläre Filtrationsrate (eGFR)
    • Heute wird standardmässig zur Berechnung der eGFR die Formel CKD-EPI verwendet
    • Interpretation/Vorgehen
      • Bei akuter Niereninsuffizienz verzögerter Anstieg von Kreatinin erst nach 2–3 Tagen
      • Eine chronische Niereninsuffizienz ist definiert durch eine stabile Serumkreatinin-Erhöhung mit einer eGFR < 60ml/min während einer Zeitperiode von mehr als 3 Monaten.
    • Erweitertes Labor bei Erstdiagnose
      • Blutbild (Frage nach Anämie; wenn ja –> s. Kapitel 2.6.)
      • BZ, HbA1c, CRP, GOT, GPT, Alk. Phosphatase
      • Elektrolyte: Kalium, Natrium, Kalzium, Magnesium nicht zwingend bei Erstdiagnose, da meist erst in Spätstadien verändert
      • Serum-Bicarbonat.

Urin

  • Urin-Stick (Protein-Screening im Papierstreifen-Test)
    • Als orientierender Test brauchbar –> Wenn positiv immer Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio bestimmen und ein Urinsediment anfordern (ausser bei HWI, diesen behandeln und Neubestimmung)

      Beachte: Misst Albuminurie erst bei Werten ab 300 mg/d und verpasst damit eine ‚Moderate Albuminurie‘, definiert von 30–300 mg/d (früher Mikroalbuminurie genannt). Ebenso weist Papierstreifen keine Bence-Jones-Proteine nach.

  • Urin-Albumin/Kreatinin-Quotient (UACR)
    • Albuminurie ist ein sensitiver Parameter zur Diagnostik und dient als Verlaufsparameter
    • Albuminausscheidung kann erhöht sein bei Harnwegsinfekt, akuter febriler Erkrankung, erheblicher körperlicher Belastung in den letzten 24 h, Medikamenten (v. a. NSAR)
    • Über den UACR kann die Albumin-Ausscheidung über 24 h hinreichend genau geschätzt werden, sodass eine aufwändige 24-Std-Urinsammlung im ambulanten Bereich nicht mehr empfohlen wird.

      UACR ist eine dimensionslose Grösse, sie entspricht mg/mmol: UACR x Faktor 10 entspricht mg/g (1 g Kreatinin entspricht etwa 10 mmol Kreatinin) oder mg/d –> Vgl. Tabelle 2 (Seite 5).

  • Urinsediment
    Indikation: Bei jedem positiven U-Stick.
    • Vorgehen
      • Mittelstrahlurin. Sollte 2–4 h nach der Abnahme aufbereitet und analysiert werden. Falls dies im eigenen Praxislabor nicht möglich, in vorgesehenen Laborröhrchen (= BD-Vacutainer) ins Labor senden.

        Hinweis: Es gibt, ähnlich wie beim Differentialblutbild, ein automatisiertes Urinsediment (Computer-basiert) und eine manuelle Mikroskopie! Die Mikroskopie ist zuverlässiger,  v. a. bei der Suche nach glomerulären Erythrozyten!

    • Interpretation
      • „Aktives Sediment“ ist definiert durch Mikrohämature mit Akanthozyten > 5 % und/oder Nachweis von Erthyrozytenzylindern
      • Dysmorphe Erythrozyten, Erythrozytenzylinder und Akanthozyten > 5 % beweisen eindeutig eine Hämaturie glomerulären Ursprungs
      • Ein Patient mit aktivem Sediment und instabiler eGFR muss nach Ausschluss eines HWIs dem Nephrologen überwiesen werden.

Tabelle 1: Urinanalye und Hinweise auf renale Erkrankung

IgA: immunoglobulin A; ANCA: Antineutrophil cytoplasmic antibody; CKD: Chronic kidney disease

Sonographie der Niere und der ableitenden Harnwege

Indikation

  • Bei allen Patienten mit eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 nach CKD-EPI
  • Mikro- oder Makrohämaturie
  • Hinweise auf eine obstruktive Uropathie: Abgeschwächte und verzögerte Miktion, Restharngefühl, Nykturie
  • Screening bei positiver Familienanamnese (ADPKD* ist die weltweit häufigste vererbte Nierenkrankheit)
  • Bei jeglicher Verschlechterung der eGFR (postrenal?)
  • Bei Koliken oder Flankenschmerzen.

    * ADPKD: Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung

Fragestellung

  • Nierenanzahl, Lage der Nieren (Hufeisen), Nierengrösse, Parenchymbreite, Nierenrinde-Mark-Begrenzung, Stauungszeichen, komplizierte Zysten, Konkremente oder vermehrte intraparenchymatöse Verkalkungen.

Nierenbiopsie

  • In allen unklaren Fällen mit therapeutischen Implikationen (Indikation stellt in der Regel der Nephrologe).
    Bis zu 50 % aller Typ-2-Diabetiker weisen eine andere Diagnose in der Histologie als eine diabetische Nephropathie auf.

 

2.3. Screening (5, 7, 8)

Vorbemerkung: Ab dem 40. Lebensalter verlieren wir durch den physiologischen Alterungsprozess pro Dekade 10 ml/min GFR-Leistung, d. h. eine 90-jährige Person hätte demnach mit einer eGFR von 60ml/min eine „normale“ Nierenfunktion.

  • Ein generelles (Routine-)Screening auf Niereninsuffizienz wird nicht empfohlen
  • Ein Screening wird empfohlen bei Risikopatienten
    • Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, andere kardiovaskuläre Erkrankungen, Nierenstein, HIV, Hepatitis, Malignom
    • Positive FA auf CKD bzw. genetische Nierenerkrankungen (z. B. ADPKD, Alport-Syndrom)
    • Rezidivierende Obstruktionen mit/oder ohne Infekte, autoimmune und systemische Erkrankungen (z. B. Lupus erythematodes)
    • Nephrotoxische Medikamente (z. B. NSAR, Lithium, Bisphosphonate, Aminoglykoside, Chemotherapeutika)
    • Einnierigkeit (angeboren oder erworben)
    • Patienten, welche als Frühgeborene zur Welt gekommen sind (verminderte Nephronenzahl)
    • Status nach komplizierten SS oder Geburten
    • Status nach rezidivierenden AKI.

 Screening-Untersuchungen

  • Albuminurie über UACR, Kreatinin mit eGFR
  • Sonographie bei selektiven Patienten, z. B. pos. FA auf Polyzystische Nierenkrankheit.

 Screening-Intervalle

  • Diabetiker jährlich
  • Hypertoniker bei Initiation der Therapie und danach alle 3 Jahre
  • Bei Personen mit FA auf CKD alle 3 Jahre.

2.4. Stadien und Prognose

Diese Stadieneinteilung mittels eGFR (= G) und Albuminurie pro Tag (= A) ist das Kernstück der nephrologischen Evaluation (–> Tabelle 2); damit kann evidenzbasiert die Risikoabschätzung bzgl. Progression und die assoziierte Mortalität relativ genau erfolgen. Die Prognose hängt ausserdem von der zugrundeliegenden Krankheit und von der Anzahl Komorbiditäten ab.

Tabelle 2: CKD-Prognose gemäss GFR- und Albuminurie (nach KDIGO, 2012, [4]) Die mg/g-Angaben unter „A“ entsprechen mg/d

Hinweise

  • Bei hohem oder sehr hohem Progressions-Risiko („orange/rot“): Patient muss dem Nephrologen zugewiesen und das weitere Vorgehen abgesprochen werden: Häufigkeit von Kontrollen, Zuständigkeiten
  • Bei moderatem Risiko („gelb“): Wenn eine die CKD gut erklärbare Diagnose schon länger bekannt ist und konstante Werte im Verlauf vorliegen –> Einstellung der Grundkrankheit, Einbezug des Nephrologen je nach Erfahrung des Grundversorgers
  • Niedriges Risiko („grün“): Da es auch CKD-definierende Zustände mit normaler eGFR und ohne Albuminausscheidung gibt, sind auch hier Verlaufskontrollen 1 x jährlich indiziert.

Progression der Niereninsuffizienz (4)

  • Der natürliche Verlauf einer chronischen Niereninsuffizienz zeigt einen langsamen und kontinuierlichen GFR-Verlust über die Jahre (ca. 1–3 ml/min/Jahr)
  • Schnelle Progression ist definiert durch eine eGFR-Abnahme von > 5 ml/min/Jahr und muss frühzeitig abgeklärt werden
  • Beim akuten Nierenversagen liegt eine Notfallsituation vor, die innert weniger Tage erkannt werden muss – durch serielle Serumkreatinin-Bestimmung! 

2.5. Folgeerkrankungen bei chronischer Niereninsuffizienz  

Sekundäre Störungen/Folgeerkrankungen der chronischen Niereninsuffizienz sind

  • Arterielle Hypertonie
  • Renale Anämie
  • Hyperparathyreoidismus/renale Osteopathie und Gefässverkalkung wegen Hypokalzämie und Hyperphosphatämie
  • Metabolische Azidose
  • Hyperkaliämie
  • Die CKD ist ein kardiovaskulärer Risikofaktor.

2.6. Monitoring 

Häufigkeit der Kontrollen: Je nach Grunderkrankung (vgl. Kap. 2.3. „Screening“) oder Empfehlung des Nephrologen.

Welche Untersuchungen?

Ob jeweils die komplette Diagnostik erfolgen soll, ergibt sich aus Anamnese, Krankheitsbild, Vorwerten und Dynamik des Verlaufs.

  • Nierenfunktion
    • eGFR/Krea, Harnstoff, Urin-Albumin/Krea-Ratio, U-Sediment und Elektrolyte: Na, Ka, Ca, Phosphat, Bicarbonat
  • Anämie: BB, Ferritin/CRP, Vit B12 und Folsäure; LDH und Haptoglobin (Ausschluss Hämolyse)
  • Knochenstoffwechsel: Ca, Phosphat, alk. Phosphatase/Ostase, Vitamin D3, PTH
  • Eiweiss und Albumin im Serum plus Albumin-/Protein/Krea-Ratio im Spot-Urin
  • Bicarbonat bestimmen –> Wird bei fortschreitender CKD wegen metabolischer Azidose immer wichtiger
  • Nierensonographie –> Bei jeglicher nicht erklärbarer akuter Verschlechterung der eGFR.

Stadiengerechtes Monitoring

Stadium G2

  • GFR 60–90 ml/min = Leichte Niereninsuffizienz
  • Kontrollen
    • Jährliche Kontrolle (eGFR und Albuminurie) und BD bei stabilem Verlauf
    • Risikofaktoren für Niereninsuffizienz suchen und behandeln, v. a. RF; bei jungen Patienten ohne weitere Erkrankung vertiefte Diagnostik einleiten bzw. Nephrologen beiziehen.

Stadium G3

  • G3a GFR 45–59 ml/min = Leichte bis moderate Niereninsuffizienz. Progression oft noch langsam; es können bereits ein sek. Hyperparathyreoidismus und eine renale Anämie, v. a. bei Patienten mit Typ-2-Diabetes auftreten
  • G3b GFR 30–44 ml/min = Auftreten aller weiteren Komplikationen in diesem Stadium möglich
  • Wichtig
    • Das Risiko, ein dialysepflichtiges (terminales) Nierenversagen zu entwickeln, ist umso höher, je fortgeschrittener das GFR-Stadium. Die Progression ist ebenso von der Grunderkrankung und vom Alter abhängig: Sehr viele CKD-Patienten > 75 J. sterben vor dem Erreichen der Dialysepflichtigkeit. Wenn die renale Grunderkrankung gut kontrolliert ist, dann ist auch das Erreichen der Dialysepflichtigkeit hinausgezögert – was das absolute Therapieziel ist.
  • Kontrollen
    • Minimal-Labor: BB, eGFR/Krea, Harnstoff, Na, Ka, Albuminurie und Albumin/Krea-Ratio. Ab Stadium G3b ausserdem: Ca, anorg Phosphat, alk. Phosphatase, PTH, 25-OH-Vitamin
    • Im Stadium G3b alle 3 Monate
    • Cave Medikamente: NSAR –> siehe auch Kap. 3.7. (Schmerztherapie). Anpassung der NOAK gemäss Präparat und Kompendium und swissmedicinfo. Keine phosphathaltigen Präparate, z. B. Colophos® zur Koloskopievorbereitung –> Irreversible starke Verschlechterung der Nierenfunktion ist möglich.

Stadium G4

  • GFR 15–30 ml/min = Schwere Niereninsuffizienz. In Zusammenarbeit mit dem Nephrologen Diskussion zur Planung des Nierenersatzverfahrens; bei älteren Patienten mit Multimorbidität, frailty, Demenz ist kein Nutzen der Dialyse erwiesen. Hier maximale supportive konservative Therapie.
  • Kontrollen
    • Kontrolle des sek. Hyperparathyreoidismus, Hypertonie, Hypervolämie, Anämie und Azidose:
      Labor wie G3b; Appetit, ZNS-Veränderungen
      Klinik: Gewicht, Ödeme, paraumbilicale Strömungsgeräusche, BD
      Therapie: Regelmässige EPO-Substitution und parenterale Eisengabe in Rücksprache mit dem Nephrologen.
  • Cave Medikamente: Metfomin absetzen, ACE-Hemmer oder Sartane nicht absetzen, sondern beibehalten, deshalb oft Kalium-Binder einsetzen; Diuretika und Antidiabetika anpassen; unter den Blutgerinnungshemmern ist Dabigatran kontraindiziert.

Stadium G5

  • GFR < 15 ml/min = Nierenversagen, prädialytisches Stadium; alle wichtigen Fragen ob und um Dialyse müssen geklärt sein
  • Kontrollen
    • Alle 1–3 Monate in Zusammenarbeit mit dem Nephrologen: Wie oben, plus CRP und Uricult bei symptomatischen Patienten
    • Urämie-Symptome aktiv erfragen, PPI fix verordnen (Blutungsgefahr wegen urämischer Gastritis)
    • Wenn möglich jodhaltige Kontrastmittelgabe vermeiden
    • Cave Medikamente: ACE-Hemmer oder Sartane nur absetzen, wenn Serumkalium nicht kontrollierbar ist  (> 5,5 mmol/l), Anpassung Diuretika, Anpassung Analgetika. Keine nephrotoxischen Medikamente (Lyrica®, Modasamil®)
    • Diät-Empfehlung: Salz- und kaliumarme Kost, allenfalls ergänzend mit Kalium-Binder, Phosphat-Binder, Nephrotrans®.

Hinweis: Qualifiziert ein älterer CKD-Patient nicht für die Dialyse, sollte mit dem Nephrologen geklärt werden, wer den Patienten wie häufig sieht. Wird eine Dialyse eingeleitet, übernimmt der Nephrologe in der Regel die volle Betreuung des Patienten.

2.7. Überweisung an Nephrologen (4, 7, 8)

Grundsätzliches

  • Bei Patienten mit CKD (d. h. eGFR < 60 ml/min, Proteinurie > 500 mg/d), insbesondere < 50 Jahre, muss die Indikation zur Überweisung zum Nephrologen grosszügig gestellt werden (8)
  • Bei älteren Patienten (> 70 Jahre) sollen für die Indikationen zur Überweisung zum Nephrologen Komorbidität, Lebenserwartung und individuelle Gesundheitsziele mit berücksichtigt werden. Es gibt im hausärztlichen Setting und im Pflegeheim hochbetagte multimorbide Patienten, bei denen die Nierenfunktion kein prioritäres Gesundheitsziel ist, diese die Lebensqualität jedoch entscheidend beeinflussen kann (16, 17).

 In folgenden Situationen sollte eine Überweisung an einen Nephrologen erfolgen

  • Bei Patienten mit hohem oder sehr hohem CKD-Progressionsrisiko (siehe rote Felder im CKD-Stadiendiagramm –> Tab. 2)
  • Bei positiver FA bzgl. Nierenkrankheit
  • Rezidvierende Nephrolithiasis (zur Steinmetaphylaxie, Urologe ist der „Sanitär“)
  • Persistierende Mikrohämaturie (Nachweis mikroskopisch und nicht mittels Papierstreifentest!)
  • Bei allen Patienten ab Stadium G3b und höher
  • Bei allen Patieten mit einem AKI oder raschem GFR-Abfall (siehe Kapitel 2.4.)  
  • Persistierende Albuminurie > 300 mg/g (ca. 1/3 aller Typ-2-Diabetiker mit CKD haben eine andere renale Grundkrankheit als die diabetische Nephropathie, insbesonders wenn keine diabetische Retinopathie vorliegt!)
  • Bei Patienten im Stadium G4 zur Vorbereitung eines Nierenersatzverfahrens
  • CKD und therapieresistente Hypertonie
  • Schwangere mit Proteinurie und Hypertonie
  • CKD-Frauen, welche schwanger werden (erhöhtes Risiko auch für die Nieren!).

 Welche Informationen sollten Hausärzte bereitstellen?

  • Diagnoseliste: Bestehen die CKD erklärende Grunderkrankungen und seit wann (z. B. Diabetes, Hypertonie), Stadien-Einteilung nach KDIGO
  • Familienanamnese: Nierenzysten, CKD unklarer Ursache?
  • Anamnese: Z. B. urämische Symptome: Müdigkeit, Leistungsintoleranz, Inappetenz, Übelkeit?
  • Status
  • Laborresultate und Vorwerte: Dynamik, bzw. Labordaten im Verlauf, insbesondere des Kreatinins und/oder der Albumin-/Proteinurie (z. B. bis wann war das Serum-Kreatinin normal?)
  • Wurde der Patient früher schon nephrologisch untersucht bzw. betreut ?
  • Interpretation der Labordaten: Bestehen Hinweise auf Knochenstoffwechselstörung? Auf Anämie? Liegt ein „aktives Sediment“ vor?
  • Bereits vorliegende Abklärungsresultate, die Hinweise geben, ob Niereninsuffizienz prä-, post- oder intrarenal bedingt ist (z. B. Sonographie)?
  • Vollständige und überprüfte Medikamentenliste.

 

3.  Therapie (4, 5, 8)

  • Ziele
    • Hemmung der Progression der CKD durch Therapie der Grunderkrankung sowie der renalen Folgeerkrankungen durch Ergreifen von nephroprotektiven Massnahmen (s. a. mediX GL Diabetes und mediX GL Hypertonie).
  • Zielwerte
    • Blutdruck einstellen: Zielkorridor 130–140/70–80 mmmHg (gemäss ESC-Guideline 2018)
    • Proteinurie reduzieren: Therapie auf Zielwert < 500 mg/d, Blutdruck < 130/80 mmHg
    • Diabetes: Einstellung auf Zielwert HbA1c < 7 % bei jüngeren Patienten. Bei älteren Typ-2-Diabetikern < 8 %
    • Kalzium und Phosphat im Normbereich
    • Metabolische Azidose
  • Ausserdem
    • Nephrotoxische Medikamente vermeiden (z. B. Kontrastmittel-Exposition)
    • Lebensstil: Gewichtsreduktion auf BMI 25–30 (Paradox: Dicke HD-Patienten leben länger!), Nikotinstopp, Bewegung
    • Diätempfehlung
      • Restriktion NaCl (6 g/d), je nach CKD Stadium Eiweissexzess vermeiden, kaliumarme Diät bei Hyperkaliämie, Zurückhaltung bei Früchten, Bohnen, Nüssen; bei Hyperphosphatämie Zurückhaltung bei Milch- und Fleischprodukten
        Hinweis: Die Proteinzufuhr sollte im Stadium G4–G5 auf 0,8 g/kgKG gesenkt werden
      • Flüssigkeitsrestriktion i. d. R. erst ab Dialyse mit Verlust der Restdiurese erforderlich, bedeutsam bei Herzinsuffizienz als Komorbidität.
    • Vitamin D als Therapie des sek. Hyperparathyreoidismus (Normbereich anstreben)
    • Eisenpräparate und ESA (Erythropoietin-stimulierende Agenzien): Rein symptomatische Therapie bei Anämie (bei einem Hb von 9–10 g/dl) ohne Einfluss auf die Progression; ev. protektiv in Bezug auf Morbidität und Mortalität bei assoziierter Herzinsuffizienz (21). In Absprache mit Nephrologen wegen Limitatio (eGFR < 60 ml/min/1,73m2).

3.1. Bluthochdruck (4, 10, 11, 15)

Nichtmedikamentöse Massnahmen

  • Salzrestriktion steigert die Wirksamkeit vieler Antihypertensiva (14)
  • Bei Adipositas zu Gewichtsreduktion motivieren
  • Regelmässig sportliche Aktivitäten.

3.1.1. Stadiengerechte antihypertensive Therapie

Antihypertensive Therapie im Stadium G3

1. Stufe

  • ACE-Hemmer und AT-II-Antagonisten (= RAAS-Blocker) sind Medikamente der 1. Wahl, insbesondere bei Diabetes mellitus und/oder Proteinurie – mit und ohne Ödeme. Die beiden Substanzklassen dürfen nicht kombiniert werden!
    Hinweise
    • Unter RAAS-Blockern kommt es regelmässig es zur einer Abnahme der GFR bzw. zu einem Anstieg des Serumkreatinins; eine Abnahme der eGFR um bis zu 25 % vom Ausgangswert ist tolerabel – Kontrolle des Kreatinins frühestens nach 2–3 Wochen. Wenn Kreatinin > 30 % angestiegen ist: Nierenarterienstenose ausschliessen, stoppen und Wechsel auf Ca-Antagonist gemäss Stufe 3
    • Langfristig haben Patienten unter RAAS-Blockade einen Überlebensvorteil wegen verlangsamtem Verlust der Nierenfunktion. Das gleiche gilt übrigens auch für die SGLT-2-Hemmer – auch unabhängig davon, ob ein Diabetes mellitus vorliegt oder nicht: Kurzfristig funktioneller Anstieg des Serum-Kreatinins, aber langfristig nephro-/kardioprotektive Wirkung sowie Reduktion der kardiovaskulären Mortalität.

2. Stufe

Zu obigen Medikamenten hinzufügen

  • 1. Wahl: Thiazide oder „Thiazid-ähnliche“ Substanzen (z. B. Hydrochlorothiazid, Chlorthalidon, Indapamid)
  • 2. Wahl bzw. bei CKD Stadium G4–5 oder starken Ödemen: Schleifendiuretika (bevorzugt Torasemid).

3. Stufe

Zu obigen Medikamenten hinzufügen

  • Ca-Antagonist (Dihydropyridine: Nifedipin, Amlodipin, Lecarnidipin) – also immer mit RAAS-Blockern zusammen, da Dihydropyridine eine Proteinurie auch geringfügig verstärken können (im Gegensatz zu Verapamil oder Diltiazem).
    Hinweis: Amlodipin und Nifedipin erzeugen häufig Unterschenkelödeme!

4. Stufe

  • Betablocker zu obigen Medikamenten hinzufügen. Diese können allerdings bei St. n. Herzinfarkt oder bei Herzinsuffizienz schon früher indiziert sein. Falls Betablocker kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden, ggfls. Alphablocker, z. B. Doxazosin oder ein Alpha-Agonist (Moxonidin, Clonidin) einsetzen.

Antihypertensive Therapie im Stadium G4

  • Ab Stadium G4 in Absprache mit Nephrologen
  • Einschleichend dosieren, Hypotonie vermeiden
  • Ersatz des Thiazids durch ein Schleifendiuretikum oder in Kombination mit diesem
  • RAAS-Blocker sollten wenn immer möglich nicht abgesetzt werden – nur in Absprache mit dem Nephrologen: Konsequenter Einsatz eines Kaliumbinders erlaubt in den meisten Fällen eine Fortsetzung der RAAS-Blockade; Serumkalium-Werte < 5,5mmol/l sind tolerabel und ungefährlich sofern der Patient bzgl. Kooperation und Kognition nicht beeinträchtigt ist oder eine sehr gute Betreuung geniesst (keine Kalium-Diätfehler!)
  • Medikamente, die weiter erlaubt sind: Ca-Antagonist, z. B. Amlodipin, Betablocker, Doxazosin (Alpha-blocker), Clonidin (Catapresan). Minoxidil: Nur in Kombination mit Schleifendiuretika und Betablocker.
    Aldosteronantagonisten –> siehe Kap. 3.1.2.

3.1.2. Einsatz von Diuretika bei CKD

Allgemein

  • Diuretika verstärken die Wirkung von ACE-Hemmern/A-II-Antagonisten
  • Cave: Provokation einer akuten Niereninsuffizienz auf vorbestehende CKD durch Hypovolämie/Hypotonie. Darum mit geringer Dosis beginnen und erste Kontrolle nach 7 Tagen (Kreatinin, Elektrolyte und Gewicht). Bei Verschlechterung oder wenn Gewichtsabnahme > 1 kg/d –> Dosis reduzieren.

Empfehlungen

  • Thiazide und Thiazid-ähnliche Diuretika (HCT, Indapamid, Chlorthalidon, Metolazon) wirken entgegen einer verbreiteten Annahme auch bei eGFR von < 30 ml/min (Stadium G4–G5). Wie bei Schleifendiuretika nimmt die Wirksamkeit mit sinkender GFR jedoch ab, sodass eine Kombination mit Schleifendiuretika sinnvoll ist. Metolazon wird häufig in Kombination mit Torasemid bei Dialysepatienten eingesetzt
  • Schleifendiuretika (Torasemid, Furosemid) sind ab eGFR < 30 ml/min (Stadium G4–G5) oft sinnvoll. Bei Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Ödemen schon früher. Start Torasemid 20 mg, Kontrollen nach 7 Tagen wie oben angegeben; maximale Torasemid-Dosis: 200 mg/d
  • Die kombinierte Therapie mit Thiaziden und Schleifendiuretika (‘sequenzielle Tubulusblockade’) ist wesentlich potenter als jene der Monosubstanzen. Sie ist auch bei GFR < 30 ml/min sinnvoll und kann bei Hyperkaliämie – v. a. bei Diabetikern – hilfreich sein
  • Aldosteronantagonisten (z. B. Spironolacton) möglich, aber gefährlich, v. a. bei einer Dosis > 25 mg tgl. bzgl. Induktion einer schweren Hyperkaliämie > 6,0 mmol/l
  • Diuretika an der Dialyse –> maximale Dosis Torasemid bis 200 mg zum Erhalt der Restdiurese; wird vom Nephrologen bestimmt.

3.2. Typ-2-Diabetes (4, 5, 15)

Allgemeines

  • Zielwert: Je nach Umständen (Lebenserwartung, Erkrankungsdauer, vaskuläre Komplikationen) HbA1c individuell 6,5 bis < 8 %
  • SGLT-2-Inhibitoren: Empagliflozin (Jardiance®), Canagliflozin (Invokana®) und Dapagliflozin (Forxiga®) reduzieren die Progression der CKD bei Diabetikern ab Stadium G2. Es besteht eine überwältigende Evidenz, bei allen Diabetikern mit CKDSGLT-2 zu verschreiben (vgl. auch KDIGO 2022)
  • Neu: SGLT-2-Inhibitoren sollen bei einer GFR ≥ 20 ml/min begonnen werden (bislang ist dies jedoch nur für Empogliflozin getestet). Fällt die GFR im Laufe der Zeit < 20 ml/min ab, kann die Behandlung fortgesetzt werden (ausser bei Auftreten von NW oder bei Einleitung einer Nierentransplantation). Wichtig: Bei Patienten, bei denen das Risiko einer Hypovolämie besteht, soll vor Therapiebeginn ggfls. die Dosis von Schleifendiuretika oder Thiaziden reduziert werdem. Patienten sollen über die Symptome eines Volumenmangels unterrichtet werden. Ebenfalls sollen die Patienten über das Risiko einer euglykämischen diabetischen Ketoazidose aufgeklärt werden
  • Bei Patienten, die trotz Behandlung mit ACE-Hemmer und SGLT2-Inhibitor eine Albuminurie ≥ 30 mg/d aufweisen, kann eventuell die zusätzliche Therapie mit dem nichtsteroidalen selektiven Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten (MRA) Finerenon (Kerendia®) erwogen werden (Ziel: Fortschreiten der Niereninsuffizienz verzögern). Allerdings ist Zurückhaltung geboten, da zur Zeit noch keine randomisierte Studie vorliegt, die zeigt, dass der Nutzen der drei Substanzen additiv ist (KDIGO 2022)
  • Einsatz und Dosisanpassung verschiedener Antidiabetika bei einer sich verschlechternden Nierenfunktion:
    –> Arzneiverordnung in der Praxis (siehe dort Tabelle 1 auf Seite 27), oder – weniger detailliert, aber übersichtlicher – in dieser SMF-Publikation (siehe dort Abbildung 1).

CKD-Stadium G3

  • Ab einer eGFR < 45 ml/min Metformin-Dosis reduzieren, z. B. auf halbe Dosis, regelmässigere Kreatinin-Kontrollen, Patient über „sick days rules“ aufklären: Bei Diarrhö, Fieber, Erbrechen (und auch bei operativen Eingriffen in Volllnarkose) sollen Metformin, Diuretika und SGLT2-Hemmer pausiert werden wegen der Gefahr einer Laktatazidose
  • Kombinationsmöglichkeiten – zusätzlich zu Metformin und SGLT-2-Hemmer: DPP-4-Hemmer, Sulfonylharnstoff (Gliclazid) oder Insulin, GLP-1-Agonist. Bei fast allen genannten Medikamenten ist eine Dosisanpassung an die CKD erforderlich.

CKD-Stadium G4

  • Es sind nur noch erlaubt: DPP-4-Hemmer (bei Januvia als einziges Gliptin keine Dosisanpassung erforderlich), GLP-1-Agonisten und Insulin; unter den SGLT2-Hemmern hat nur Canagloflozin (Invokana®) eine Indikation bis 15 ml/min bzw. bis zur Dialyepflichtigkeit.

3.3. Hyperlipidämie

  • Bei < 50-Jährigen: Nur als Sekundärprophylaxe bei entsprechenden Grundkrankheiten (KHK, Diabetes, CVI)
  • Alle > 50-Jährigen, unabhängig vom Lipidstatus; Zielwert: 1,8 mmol/l für alle Patienten mit eGFR < 60 ml/min bzw. 1,4 mmol/l bei eGFR < 30 ml/min (ESC/EAS Guidelines, 2019)
    Ab Stadium G3–G5 –> Statine reduzieren: Atorvastatin auf 20 mg, Rosuvastatin 10 mg, Fluvastatin 80 mg, Pravastatin 40 mg, Simvastatin 40 mg. Wenn Zielwerte nicht erreicht werden: Ezetimib 10 mg dazu; alternativ auch erlaubt: Fire-and-Forget-Strategie.
  • Einzelheiten s. mediX GL Hyperlipidämie

3.4. Knochen-Mineralstoffwechsel

Hyperphosphatämie (= HPA)

Zielwerte

  • Phosphat an oberer Norm: 1, 45 mmol/l

Massnahmen

  • Phosphatarme Ernährung
  • Profunde Ernährungsberatung; die Grundelemente dieser Ernährung –> Ernährungsempfehlungen bei Nierenerkrankungen (ohne Dialyse)
  • Phosphatbinder
    • Kalziumacetat (Bichsel® oder Salmon®). Muss konsequent mit den Mahlzeiten eingenommen und der darin enthaltenen Menge Phophor angepasst werden.
      Dosierung Bichsel®: 8–12 Kapseln (à 400 mg) verteilt auf 3–4 Gaben. Renacet® 950 mg 1-1-1.
      Allerdings oft Adhärenzprobleme, mehr als 6 Kps/d sind meist nicht realistisch
    • Nebenwirkungen/Therapieabbruch: In hoher Dosierung Hyperkalzämie –> dann Wechsel auf Ca-freie Phosphatbinder. Sevelamer-Chlorid (Renagel®) oder Sevelamer-Carbonat (Renvela®): Teuer, gehören in die Hände von Spezialisten.

Vitamin D, Ca-Phosphat

Allgemeines, Zielwerte

  • Hyperkalzämie vermeiden
  • 25-OH-Vitamin D sollte im Normbereich liegen
    Bei persistierend erhöhtem PTH trotz normalem Vitamin D und Vorliegen einer Hyperphosphatämie –> Zuweisung zum Nephrologen.

Therapie Vitamin-D-Mangel

  • 6'000 IE Vitamin D p.o. wöchentlich oder 45'000 IE alle 2–3 Monate p.o.
  • Bei ungenügender intestinaler Resorption: Vitamin D3 Streuli Amp 300'000 IE i.m.
  • Calcitriol (= aktives Vitamin D) nur falls eine PTH-senkende Therapie indiziert ist, z. B. Calcitriol Salmon Kaps 0,25 µg in Rücksprache mit dem Nephrologen.

    Cave: Zur Vermeidung einer zunehmenden Gefässverkalkung sowie Calciphylaxie sollte eine Normokalzämie und Normophosphatämie angestrebt werden. Die Dosis beträgt anfangs 0,25 µg 3 x/Woche.  Die Patienten müssen vor allem bzgl. Kalzium sorgfältig (1 x/Woche) überwacht werden (Indikation und Therapieanpassung gehört in die Hand des Nephrologen).

Hyperparathyreoidismus (sHPT)

  • Da es sich im Rahmen einer CKD um einen sekundären HPT handelt, läuft die Therapie primär über die Korrektur der Hyperphosphatämie, der Hypokalzämie und des Vitamin-D-Mangels (s. o.)
  • PTH darf bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz das Doppelte des oberen Normwertes (bis 9 x desselben) betragen. Bei steigenden oder erhöhten PTH-Werten trotz normalem Vitamin-D-Spiegel und normalem Phosphat –> nephrologische Konsultation
  • Nur in den Händen des Nephrologen: Paricalcitol (Zemplar®) oder Cinacalcet (Mimpara®), Etelcalcetide (Parsabiv®) und als Ultima ratio die subtotale Parathyreoidektomie.

3.5. Renale Anämie (18)

  • Bei vermuteter renaler Anämie (keine EPO-Spiegel messen!) nach Ausschluss anderer Ursachen (B12 und Folsäure, chronischer Entzündungszustand) soll zuerst Eisen gegeben werden (falls Ferritin < 500 µg/l und Transferrinsättigung < 30 %) – zuerst Versuch p.o., aber i.v. ist immer effektiver
  • Eine renale Anämie, die keine Symptome zeigt, soll nicht mit ESA behandelt werden, ausser Hb < 9 g/dl
  • Zielwerte
    • Hb 11–12 g/dl; ab Werten über 12,5 g/dl verschiedene NW (z. B. Hypertonie, Thrombosen) und erhöhte Mortalität.
  • Konkretes Vorgehen
    • Oben beschriebene Fe-Werte anstreben. Dann Präparate mit langer HWZ wählen, z. B. Micera® s.c. Beispiel: Start mit 1,2 μg/kgKG 1 x/Monat. Frühestens nach 4 Wochen Hb bestimmen. Darunter muss das Ferrtin/CRP monitorisiert werden, um einem induzierten Fe-Mangel rechtzeitig vorzubeugen. Kann dann höher dosiert und häufiger gegeben werden – vgl. Kompendium.

3.6. Metabolische Azidose

Patienten mit GFR < 30 ml/min haben ein erhöhtes Risiko für eine metabolische Azidose

  • Therapie bei Bicarbonat < 22 mmol/l: Natriumbicarbonat Kps 500 mg 3–6/d
    Beachte: Die Natriumzufuhr kann ev. die BD-Kontrolle und den Volumenstatus beeinflussen! Cave: Herzinsuffizienz
  • Ab Bicarbonat < 22 mmol/l –> Indikation für Nephrotrans®
  • Reduktion der Säurezufuhr durch Ernährungsberatung: Die Azidose kann primär durch eine mediterrane Diät positiv (Gemüse und Früchte) beeinflusst werden, zudem verminderte Säurebelastung durch geringeren Konsum tierischer Eiweisse.

3.7. Proteinurie

  • Behandlung indiziert (unabhängig von Diabetes mellitus und/oder Hypertonie) ab Albuminurie > 300 mg/d –> 1. Wahl: ACE-Hemmer oder Sartan (keine Kombination!)
    • Zielwert Blutdruck: < 130/80 mmHg
    • Zielwert HbA1c: ca. 7,0 %
  • Weitere Therapie gemäss Grundkrankheit für Proteinurie.

3.8. Hyperkaliämie

Mit zunehmendem CKD-Stadium besteht das Risiko einer Hyperkaliämie, häufig auch aufgrund der Medikation mit RAS-Blockade oder bei zusätzlichem Vorliegen einer metabolischen Azidose.

  • Behandlung ist indiziert bei Ka > 5 mmol/l oder EKG-Veränderungen
    • Sicherstellen, dass nicht eine Kaliumsubstitution vorliegt (z. B. wegen Hypokaliämie unter Diuretika)
    • Diätetische Beratung und Kaliumreduktion
    • Falls Aldosteronantagonisten gegeben werden, die Indikation überprüfen, ggfls. Dosis reduzieren
    • Falls ein Patient kurz vor Dialysepflichtigkeit oder Lebendnierentransplantation ist, ggfls. auch ACE-Hemmer/ARB reduzieren oder pausieren
    • Falls eine Dosissteigerung der Schleifendiuretika erwünscht ist, kann diese auch das Kalium senken
    • Falls eine metabolische Azidose vorliegt (Bikarbonat < 20 mmol/l), kann eine Alkalitherapie mit z. B. Natriumbikarbonat (Nephrotrans®) durchgeführt werden
    • Eine rein medikamentöse Behandlung einer Hyperkaliämie kann nur mit Ionenaustauschern z. B. Resonium® A, Sorbisterit®, Veltassa® erfolgen (CAVE: Sehr teuer im Vergleich zu Resonium und Sorbisterit). Diese sollte in Rücksprache mit dem behandelnden Nephrologen erfolgen.
      Beachte: Medikamente können nur wirken, wenn die Patienten regelmässig Stuhlgang haben.

3.9. Schmerztherapie (12)

Basis-Analgetika

  • Paracetamol in 500 mg-Dosen, max. 3 g/d, auch unter Dialyse erlaubt
  • Novalgin ab eGFR < 30 ml/min Dosis reduzieren: 4 x 500 mg/d; keine Einmaldosis höher als 500 mg; auch unter Dialyse erlaubt
  • CAVE: Keine NSAR (p.o., i.v. oder i.m.) ab GFR < 60 ml/min.

    Ev. Ausnahme bei GFR 60–40 ml/min –> Halbe Dosis bis max. 5 d und auf genügende Trinkmenge drängen. aber nicht zusammen mit RAAS-Blockade oder akuter Erkrankung (z. B. Fieber, Diarrhö). An der Dialyse auch nur erlaubt, wenn keine Restdiurese und keine GI-Blutungsanamnese!

Opiate (19)

  • Die Akkumulationsgefahr der Opiate sollte grundsätzlich auch bei CKD berücksichtigt werden. Interaktionen mit Abbau anderer Medikamente (CYP 450) kommen hinzu
  • Tramadol (und Tilidin/Valoron®) immer erlaubt; ab eGFR < 30 ml/min begrenzen auf max. 200 mg/d
  • Hydromorphon (Streuli Tr., Palladon®, Junista®): Eintitrieren mit 1,3 mg, dann erst 2,6 mg retard; Dosisanpassung bereits ab eGFR 60 ml/min
  • Fentanyl (Actiq®, Effentora® [buccal], Durogesic®) – immer erlaubt; nicht dialysierbar! Gemäss Compendium werden nur 10 % über Niere ausgeschieden – aber: NW bei CKD sind nicht untersucht, darum auf Akkumulation achten
  • Methadon muss erst angepasst werden ab eGFR < 10 ml/min; ganz allgemein sehr lange HWZ und individuell sehr verschieden –> auf Akkumulation achten! Nicht dialysierbar; eignet sich besonders bei terminalen Patienten mit CKD oder in Palliativ care
  • Buprenorphin (Transtec®, Subutex®, Temgesic®) werden über die Leber metabolisiert – keine Dosisanpassung nötig
  • Morphin/Morphium: Nicht empfohlen bei CKD
  • Oxycodon (Oxycontin®, Targin®, Naloxon®): Nicht empfohlen bei CKD.

3.10. Impfungen

  • Empfohlen werden bei allen CKD-Patienten
    • Die Hepatitis-B-Grundimmunisierung (früh vor Dialysebeginn oder vor Nierentransplantation)
    • Die jährliche Influenza-Impfung
    • Die Pneumokokken-Impfung (Prevenar 13®)
    • Neu: Shingrix-Impfung (Gürtelrose)
  • Beachte: Insbesondere Impfungen mit Lebendimpfstoffen sollten vor einer möglichen Nierentransplantation durchgeführt werden, da sie nach Transplantation kontraindiziert sind.

3.11. Gefässzugang

  • Ab CKD-Stadium 3–4 und sicherer Progression in ein dialsepflichtiges Stadium sollten die Venen an einem Arm (meist der nicht dominante) geschont werden vor Schädigungen durch Punktionen (Blutentnahmen, Venflons, PICC lines), damit in naher Zukunft eine Fistelanlage bei intakten Venen durchgeführt werden kann; dafür wird frühzeitig ein sog. Gefässmapping mittels Sonographie an beiden Armen angemeldet und dann ein Tabu-Arm definiert.  

 

4. Literaturverzeichnis

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Danksagung

Wir danken Dr. med. Andreas Schleich, Oberarzt Nephrologie, Stadtspital Waid, Zürich, für seine Expertise und kritische Anregungen.

 

5. Impressum

Diese Guideline wurde im Februar 2023 aktualisiert.
© Verein mediX schweiz

Herausgeber
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel

Redaktion (verantwortlich)
PD Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Felix Huber 
Dr. med. Uwe Beise 
Dr. med. Maria Huber

Autorin
Prof. Dr. med. Nilufar Mohebbi
Dr. med. Uwe Beise

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