Factsheet

Anordnung Psychotherapie

Erstellt von: Felix Schwarzenbach, Jovana Radulovic Zuletzt revidiert: 06/2023 Letzte Änderung: 06/2023

Allgemeines zum Anordnungsmodell

  • Seit dem 1. Juli 2022 können psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, welche die eidgenössischen Anforderungen erfüllen und eine kantonale Zulassung haben, auf Grundlage einer vorherigen ärztlichen Anordnung ihre Tätigkeit selbständig ausüben und ihre Leistungen über die OKP (Obligatorische Krankenpflegeversicherung) abrechnen. Dieses neue System soll Patientinnen und Patienten den Zugang zur Gesundheitsversorgung erleichtern und die interprofessionelle Zusammenarbeit fördern
  • Die Aussteller der Anordnung haben also die Verantwortung zu entscheiden, ob eine Psychotherapie zulasten der Grundversicherung/Solidargemeinschaft indiziert ist.

Beachte: Aktuell ist noch in Diskussion, ob Therapeuten in Ausbildung auch gemäss diesem neuen Modell abrechnen dürfen oder nicht. Es kommt deswegen zu Abweisungen der Therapiekosten bei verschiedenen Versicherungen. Ein Bundesgerichtsentscheid ist noch pendent. Es empfiehlt sich deshalb, dass die Patientinnen bei der Agentur der Krankenkasse vor Therapiebeginn nachfragen, ob die Therapeutin/der Therapeut im gewählten Versicherungsmodell anerkannt ist.

 

Vorgehen

  • Das Modell der ärztlich angeordneten Psychotherapie verbindet medizinische und psychotherapeutische Behandlungen zwischen den behandelnden Personen in einem klar definierten Prozess, der auch die Kommunikation während der gesamten Psychotherapie regelt
  • Bei der Einführung des Modells werden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eng mit ärztlichen Fachpersonen zusammenarbeiten, sowohl im Hinblick auf die Indikation als auch auf das administrative Vorgehen
  • Die Leistungen der psychologischen Psychotherapeuten umfassen also neben der eigentlichen Psychotherapie auch Koordinationsleistungen. Letztere müssen im Zusammenhang mit der Psychotherapie stehen und betreffen einerseits die Koordination mit dem anordnenden Arzt oder der anordnenden Ärztin im Rahmen der Behandlung der psychischen Krankheit und andererseits die Abstimmung mit weiteren in die Behandlung involvierten Personen im Sinne der koordinierten Versorgung
  • Im Rahmen der Leistung der Psychotherapie sind auch Erstgespräche mit insbesondere anamnestischen und diagnostischen Elementen eingeschlossen
  • Es gilt Artikel 11b der KLV (Krankenpflege-Leistungsverordnung). Grundsätze und Methoden gelten gemäss der Regelung zur ärztlichen Psychotherapie nach Artikel 2 KLV.

 

Wer kann Anordnungen ausstellen?

  • Die reguläre Anordnungsbefugnis von 15 Sitzungen ist beschränkt auf Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin, Schwerpunkttitelträger/-Innen für psychosomatische Medizin sowie auf Psychiater/-Innen (Artikel 11b Absatz 1 Buchstabe a KLV)
  • Danach ist ein Informationsaustausch zwischen der anordnenden ärztlichen und der ausführenden psychotherapeutischen Fachperson für eine mögliche Anordnung von weiteren maximal 15 Sitzungen notwendig
  • Kriseninterventionen oder Kurztherapien für Patientinnen und Patienten mit schweren Erkrankungen, bei Neudiagnose oder bei einer lebensbedrohlichen Situation können einmalig für maximal 10 Sitzungen durch jede Person mit einem Facharzttitel – aus allen medizinischen Fachrichtungen – inkl. Praktischer Arzt angeordnet werden.

 

Welche Informationen erfordert die Anordnung selber?

Es müssen folgende Informationen in den Akten vorhanden sein, um eine 1. Anordnung zu veranlassen

  • Symptome, die behandelt werden sollen
  • (Verdachts-)Diagnose(n), die behandelt werden sollen
  • Ziel(e) für die Psychotherapie.

Es müssen folgende Informationen in den Akten vorhanden sein, um die 2. Anordnung zu veranlassen

  • Bisheriger Verlauf: Symptome, Behandlungsauftrag 
  • Diagnose(n) nach ICD-10, ICD-11 oder DSM 5
    • Wenn eine Anpassungsstörung (F43.2) diagnostiziert wird, die gemäss ICD-10 leicht und zeitlich limitiert ist, braucht es für eine
      2. Anordnung eine nachvollziehbare Begründung, warum es in diesem Fall nicht möglich ist, nach maximal 15 Sitzungen Therapie abzuschliessen.
  • Bisherige und allenfalls neue Ziel(e) für die nächsten 15 Sitzungen.

Dies bedingt einen kurzen Bericht der behandelnden psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeutenan die anordnende Ärztin/den anordnenden Arzt, wenn möglich per hin-gesichertem E-mail, allenfalls per Telefon, wenn Diskussionsbedarf besteht.

Die ausgedruckte, unterschriebene Anordnung wird der Patientin/dem Patienten mitgegeben oder via Post nach Hause geschickt. Die Anordnung muss von ihnen der Psychotherapeutin/dem Psychotherapeuten abgegeben und von dort mit der Rechnung zusammen an die Kasse geschickt werden. Es empfiehlt sich bei der Agentur der Krankenkasse zu fragen, ob die Therapeutin/der Therapeut im gewählten Versicherungsmodell anerkannt ist.

 

Ablauf

  • Gemäss Verordnung können 15 Psychotherapiesitzungen angeordnet werden. Zwischen der anordnenden ärztlichen und der ausführenden psychotherapeutischen Fachperson findet ein Informationsaustausch in Bezug auf eine mögliche Anordnung von weiteren 15 Sitzungen statt
  • Vor einer Weiterführung der Psychotherapie nach 30 Sitzungen ist eine Kostengutsprache des Versicherers nötig. Dies regelt Artikel 11b Absatz 3 KLV
  • Nach 30 Sitzungen ist die Konsultation eines Psychiaters, einer Psychiaterin oder neuerlich Schwerpunkttiteltträger/-Innen SAPPM (Schweizerischen Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin) erforderlich, um über die Fortsetzung der Psychotherapie zu entscheiden. Die psychiatrische Fachperson oder die Fähigkeitsausweistitelträger Psychosomatische Medizin erstellen eine Fallbeurteilung (je nach individueller Vulnerabilität der Patientin oder des Patienten kann diese auch in Form einer Aktenbeurteilung stattfinden) zuhanden der anordnenden Fachperson, die ihrerseits der Versicherung einen Bericht mit der genannten Beurteilung vorlegt, damit die Fortsetzung der Kostenübernahme durch die Grundversicherung genehmigt werden kann
  • Grundsätzlich sind die notwendigen Angaben im entsprechenden Formular enthalten.
    Für eine Beurteilung braucht es zusätzlich Angaben zu den Zielen zu Beginn, im Verlauf und aktuell, da nur so der therapeutische Auftrag geklärt werden kann.
    Aufgrund der Erfahrungen aus der Supervision und Evaluation von Psychotherapien lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen und Scheitern oft auf eine ungenügende oder fehlende Auftragsklärung zurückführen.

 

Beispiel für die Anordnung nach 30 Sitzungen

  1. Anmeldung der Fallbeurteilung an überprüfende Stelle, wie z. B. inklusive Bericht und Nennung der anordnenden Ärztin oder des anordnenden Arztes (HIN gesicherte E-Mail Adresse).
  2. Die überprüfende Stelle bietet die Patientin respektive den Patienten zu einer fachärztlichen Konsultation auf und informiert die Zuweisenden darüber.
  3. Die anordnende Fachperson sendet die Fallbeurteilung mit der gestellten Indikation dem vertrauensärztlichen Dienst der Krankenkasse mit Kopie an die Patientin/den Patienten.
  4. Die Krankenkasse entscheidet über die weitere Kostengutsprache.

 

Was gilt, wenn nach einer Krisenintervention eine längere Behandlung nötig ist?

  • Sollte sich herausstellen, dass eine längere psychotherapeutische Behandlung indiziert ist, hat diese mit einer regulären Anordnung zu erfolgen gemäss Artikel 11b Absatz 1 Buchstabe a KLV
  • Für die Weiterführung der Psychotherapie nach kumuliert 30 Sitzungen (10 Sitzungen Kurztherapie + 20 Sitzungen via reguläre Anordnung) ist ebenfalls gemäss dem oben dargestellten Vorgehen eine Kostengutsprache des Versicherers notwendig.

 

Was geschieht mit Kostengutsprachen bei den aktuell laufenden Therapien, die bis über den Zeitpunkt des Modellwechsels hinaus gesprochen sind?

  • Sofern die Leistungen über die Krankenversicherung vergütet werden sollen, muss man sich an den neuen Ablauf halten. Die psychotherapeutischen Leistungen müssen von einer Ärztin/einem Arzt angeordnet sein, um über die OKP vergütet zu werden. Sie können nicht einfach ohne Anordnung tätig sein
  • Betreffend Kostengutsprache: Es ist ratsam, bereits direkt Kontakt mit der Versicherung aufzunehmen und hinsichtlich Vorgehen im spezifischen Fall nachzufragen.

 

Wirksamkeit der Psychotherapie

  • Viele psychische Störungen können in einer Kurz-Psychotherapie bis maximal 15 Sitzungen behandelt werden. Bei mehr als 30 Sitzungen konnte in wissenschaftlichen Studien nur vereinzelt eine bessere Wirksamkeit gezeigt werden
  • Mit zunehmender Therapiedauer steigen die Anforderungen an die Begründung für die Indikation einer fortgesetzten Psychotherapie. Auch eine höhere Sitzungsfrequenz als 1 Sitzung pro Woche für die ersten 15 Sitzungen muss begründet werden, sowie ab der 16. Sitzung eine höhere Frequenz als 1 Sitzung pro 2 Wochen
  • Es gibt renommierte, erfolgreiche Therapeuten, die erfolgreich mit 1 Sitzung pro Monat arbeiten
  • Es gibt jedoch Störungen, die eine Langzeitbehandlung mit mehr als 30 Sitzungen brauchen, wie chronische Psychosen, chronisch rezidivierende Depressionen, Zwangsstörungen, Sucht, komplexe posttraumatische Belastungsstörungen und schwere Persönlichkeitsstörungen.



Literatur

  1. FSP Infoblatt Psychotherapie auf ärztliche Anordnung: Informationen für anordnende Fachpersonen
  2. Webseite der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen
  3. Website des BAG

 

Impressum

Dieses Factsheet wurde im Juni 2023 erstellt.
© Verein mediX schweiz

Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel

Redaktion
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Uwe Beise 
Dr. med. Maria Huber

Autoren
Dr. med. Felix Schwarzenbach
Dr. med.
Jovana Radulovic

Dieses Factsheet wurde ohne externe Einflussnahme erstellt. Es bestehen keine finanziellen oder inhaltlichen Abhängigkeiten gegenüber der Industrie oder anderen Einrichtungen oder Interessengruppen.

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