Guideline

Abdominales Aortenaneurysma

Erstellt von: Uwe Beise, Iris Hähnel Zuletzt revidiert: 06/2019 Letzte Änderung: 09/2023

Aktualisierung 09/2023

  • Die Guideline wurde vollständig durchgesehen und auf Aktualität geprüft
  • In den einzenen Kapiteln wurden kleine inhaltliche Ergänzungen angebracht
  • Die Empfehlungen zu Screening, Diagnostik und Therapie des AAA sind unverändert gültig.

1. Definition, Epidemiologie, Risikofaktoren (1–4, 17)

Definition

  • Als abdominales Aortenaneurysma (AAA) bezeichnet man eine Erweiterung der Bauchaorta auf einen Durchmesser von > 3 cm – ein Gefässdiameter von
    2,5–3,0 cm = Aortenektasie
  • In 95 % der Fälle handelt es sich um Erweiterungen, die unterhalb der Nierenarterien beginnen. In 3 % sind Nierenarterien und in 2 % alle Viszeralarterien in das Aneurysma einbezogen.

Häufigkeit

  • Männer : Frauen = 6 : 1
  • Prävalenz: 1,5–7 % bei Männern im Alter > 60 J. (nach Schätzungen aus Screeningstudien)
  • Inzidenz (bei Männern > 50 J.): 3,5–6,5 pro 1‘000 Personen/Jahr.

Pathogenese

  • Multifaktorieller Prozess mit Veränderungen der Arterienwand: Transmurale inflammatorische Veränderungen, abnormales Kollagenremodelling, Verlust von Elastin und glatten Muskelzellen, die zur Verdünnung und Schwächung der Arterienwand führen.

Risikofaktoren

  • Rauchen
  • Alter > 65 J.
  • Männliches Geschlecht
  • Unkontrollierte arterielle Hypertonie
  • Hypercholesterinämie
  • Bestehende Arterienerkrankung wie KHK, PAVK etc.
  • Familienanamnese (Geschwister bis 18 % betroffen)
  • Selten: Infektiöse (bakteriell, viral, fungal) oder immunologische Erkrankungen

Hinweis: Diabetiker haben ein verringertes AAA-Risiko!

 

2. Verlauf, Symptome, Diagnostik (1, 6, 10, 15)

Natürlicher Verlauf und Rupturrisiko

  • AAA schreiten grundsätzlich voran, durchschnittlich um 0,3–0,4 cm/Jahr – eher rascher bei Rauchern, eher langsamer bei Diabetikern oder Patienten mit pAVK. Ein AAA kann manchmal über lange Zeit stabil bleiben und dann unerwartet rasch expandieren
  • Das Rupturrisiko steigt mit dem AAA-Durchmesser und der Wachstumsgeschwindigkeit: Hohes Risiko bei AAA > 5.5 cm oder Grössenzunahme > 0,5 cm in 6 Monaten. Ausserdem: Erhöhtes Risiko bei Rauchern (Hazard Ratio/HR: 2,1) und Frauen (HR: 4,5), nach bestimmten operativen Eingriffen und bei unkontrollierter Hypertonie.

 Jährliche durchschnittliche Rupturrate je nach AAA-Grösse (15)

  • AAA < 5 cm = 1 %
  • AAA > 6 cm = 10 %
  • AAA > 8 cm = > 25 %

Symptome

  • Die meisten AAA sind klinisch stumm und werden als Zufallsbefunde oder beim Screening (–> siehe Kap. 3) entdeckt
  • Symptome entstehen durch Kompression benachbarter Strukturen oder (seltener) durch Entzündung des Aneurysmas
  • Bauch,- Rücken- oder Flankenschmerz (auch ohne Ruptur), Harnstau
  • Ev. akute oder chronische Extremitätenischämie, Fieber oder Malaise
  • Bei Ruptur starke Schmerzen, Hypotonie, pulsatile abdominale Masse (bei
    50 %).

Beachte: Bei Ruptur ins Retroperitoneum oder als aorto-ösophageale bzw. aorto-cavale Fistel können die Symptome auf eine falsche Fährte führen: 30 % Fehldiagnosen – als Divertikulitis, gastrointestinale Hämorrhagie, Ischämie, Darmperforation!

Körperliche Untersuchung

  • Palpation: Grosse Aneurysmen (> 5,5 cm) sind tastbar, aber nur < 50 % werden durch Palpation entdeckt
  • Vaskuläre Abklärung, um Anzeichen für Thromboembolie oder periphere Aneurysmen zu erkennen.

Anmerkung: Thromboembolien können singulär oder multipel auftreten, symptomarm, oder akut mit Schmerzen, lividen, kalten Extremitäten, fehlenden Pulsen.

Bildgebung

  • Asymptomatische Patienten, bei denen ein mutmassliches Aneurysma getastet wird oder bei denen der Verdacht auf AAA aufgrund eines Röntgenbefunds besteht, sollen zunächst zeitnah sonographisch abgeklärt werden
  • Bei symptomatischen Patienten hängt die initiale Diagnostik vom hämodynamischen Zustand des Patienten ab –> Notfalleinweisung ins Spital.

 

3. Sonographie-Screening (5–13)

  • Die rechtzeitige Diagnose ist wichtig, da eine Ruptur mit einer hohen Sterblichkeit einhergeht: 50 % sterben bei der Notfall-Op (von den 40 %, die überhaupt eine Klinik erreichen). Bei elektiver Op beträgt die Mortalität 1–5 % (abhängig auch von Komorbiditäten und der Art des Repair-Eingriffs)
  • Abdominal-Sonographie ist ein hoch sensitives und spezifisches Screening-Verfahren (95–100 %) (10)
  • Der Nutzen eines Sonographie-Screenings bei Risikopatienten wurde in grossen RCT bestätigt. Bei Personen mit geringem Risiko ist der Nutzen dagegen unbedeutend (11)
  • Bei Diagnose eines AAA sollten einmalig auch die Poplitealarterien gescreent werden (15).

Hinweis: Ein CT ist zum AAA-Screening nicht erforderlich, hingegen ist es bei (hämodynamisch stabilen) Patienten mit vermutetem symptomatischen AAA der Sonographie vorzuziehen.

⇒ Einmaliges AAA-Screening wird empfohlen

  • Bei männlichen (Ex-)Rauchern im Alter zwischen 65 und 75 J. (–> USPSTF)
  • Bei Männern im Alter zwischen 65 und 75 J., die familiär belastet sind (ein erstgradig Verwandter mit AAA) – auch ohne Raucheranamnese
  • Bei Frauen ist der Nutzen nicht hinreichend belegt (unzureichende Datenlage). Bei Raucherinnen oder bei familiärer AAA-Anamnese kann aber ein Screening zwischen 65 und 75 Jahre angeboten werden.

–> Siehe auch mediX GL Check-up

Nutzen des Screenings

  • AAA-Mortalität sinkt durch Screening um 45–50 %
  • Number Needed to Screen (NNS): Ca. 670 Männer müssen am Screening teilnehmen, um einen durch ein AAA verursachten Todesfall über einen Zeitraum von 5 Jahren zu verhindern (Ergebnisse eines schwedischen Screening-Programms [17])
  • Die Gesamtmortalität wird nicht signfikant gesenkt (da AAA nur in < 3 % die Todesursache ist).

 

4. Therapie und Kontrollen (1, 14–16)

I. Asymptomatisches AAA

Kontrollintervalle

  • AAA < 3 cm: Nach 10 Jahren
  • AAA 3–4 cm: Alle 3 Jahre
  • AAA 4–5,4 cm: Alle 6–12 Monate
  • AAA ≥ 5.5 cm: –> Gefässchirurgie.

Anmerkung: Die internationalen Leitlinien zur Überwachung kleinerer AAA sind nicht ganz einheitlich, da die empfohlenen Überwachungsintervalle nicht in randomisierten Studien überprüft wurden (15).

Konservative Therapie

  • Rauchstopp
  • Medikamentöse Senkung des kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit arteriosklerotischen Erkrankungen.

Anmerkungen: Ob die Behandlung eines Hypertonus und einer Dyslipoproteinämie das Aneurysmawachstum aufhalten kann, ist nicht bekannt. Es gibt kein Medikament, das ausschliesslich zur Therapie eines AAA verordnet werden kann (1, 15). Bei Patienten unter thrombolytischer Therapie kann es ev. zur Mobilisierung eines AAA-Wandthrombus kommen (18). Dies ist bei der Nutzen-Risiken-Abwägung einer thrombolytischen Behandlung bei AAA-Patienten mit zu berücksichtigen.   

Operation

Indikation

  • AAA ≥ 5,5 cm und/oder Grössenzunahme > 0,5 cm/6 Monate.

Hinweise

  • Da Frauen bei gleichem AAA-Durchmesser im Vergleich zu Männern ein erhöhtes Rupturrisiko aufweisen, kann eine Elektiv-Op schon bei einem Durchmesser ab 5,0 cm erwogen werden, wenn geringe Op-Risiken bestehen

  • Bei Patienten mit asymptomatischem AAA ≥ 5,5 cm, die z. B. wegen Komorbiditäten eine kurze Lebenserwartung haben (< 2 Jahre), werden kein Eingriff und keine weiteren Kontrollen des AAA empfohlen.

Operationsmethoden

  • Offene Operation mit Einsetzen einer Gefässprothese (OAR) – i. d. R. bei jüngeren Patienten mit geringem oder mittlerem perioperativen Risiko und langer Lebenserwartung
  • Endovaskuläre Implantation eines Y-Grafts (EVAR) – zumeist bei Patienten mit hohem Operationsrisiko. EVAR kann unter Lokal-, Regional- oder Allgemeinanästhesie durchgeführt werden.

Hinweise

  • EVAR weist gegenüber dem offenen Eingriff seltener perioperative Komplikationen und eine geringere perioperative Mortalität auf (0,5–2 % vs. 3–5 %) auf (14)

  • Die Langzeitmortalität unterscheidet sich zwischen beiden Verfahren jedoch nicht (8, 15, 16). Nach EVAR verbleibt ein geringes Rupturrisiko, aber auch nach offenem Eingriff sind Langzeitkomplikationen möglich.

II. Symptomatisches und rupturiertes AAA

  • Bei symptomatischem AAA –> dringliche Operation innert 24 h
  • Bei rupturiertem AAA –> Notfall-Operation.

 

5. Literatur

  1. Jim J: Clinical features and diagnosis of abdominal aortic aneurysm. Clinical features and diagnosis of abdominal aortic aneurysm. UpToDate, aufgerufen 09/2023.
  2. Lederle FA: Prevalence and associations of abdominal aortic aneurysm detected through screening. Aneurysm Detection and Management (ADAM) Veterans Affairs Cooperative Study Group. Ann Intern Med. 1997;126(6):441.
  3. Scott RA: Abdominal aortic aneurysm in 4237 screened patients: prevalence, development and management over 6 years.
  4. Collin J.: Oxford screening programme for abdominal aortic aneurysm in men aged 65 to 74 years. Lancet. 1988;2(8611):613.
  5. Wilmink AB: The incidence of small abdominal aortic aneurysms and the change in normal infrarenal aortic diameter: implications for screening. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2001;21(2):165.
  6. Brady AR: Abdominal aortic aneurysm expansion: risk factors and time intervals for surveillance. 2004;110(1):16.
  7. Chaikof EL, et al.: SVS practice guidelines for the care of patients with an abdominal aortic aneurysm: executive summary. J Vasc Surg. 2009 Oct;50(4):880-96.
  8. Assar AN, Zarins CK: Ruptured abdominal aortic aneurysm: a surgical emergency with many clinical presentations. Postgrad Med J. 2009 May;85(1003):268-73.
  9. Marston WA, et al.: Misdiagnosis of ruptured abdominal aortic aneurysms. J Vasc Surg. 1992;16(1):17.
  10. Craeger MA: Screening for abdominal aortic aneurysm. UpToDate, aufgerufen 09/2023.
  11. Cosford PA, Leng GC: Screening for abdominal aortic aneurysm. Cochrane Database Syst Rev. 2007.
  12. Thompson SG, et al.: Final follow-up of the Multicentre Aneurysm Screening Study (MASS) randomized trial of abdominal aortic aneurysm screening. Br J Surg. 2012;99(12):1649.
  13. RESCAN Collaborators, Bown MJ, et al.: Surveillance intervals for small abdominal aortic aneurysms: a meta-analysis. 2013 Feb;309(8):806-13.
  14. Schermerhorn ML, et al.: Endovascular vs. Open Repair of Abdominal Aortic Aneurysms in the Medicare Population. N Engl J Med 2008; 358: 464-474.
  15. Debus ES, et al.: S3-Leitlinie zu Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Bauchaortenaneurysmas, 2018.
  16. Dalman RL, Mell M: Management of asymptomatic abdominal aortic aneurysm. UpToDate, aufgerufen 09/2023.
  17. Wanhainen A, et al.: Swedish Aneurysm Screening Study Group (SASS). Outcome of the Swedish Nationwide Abdominal Aortic Aneurysm Screening Program. 2016 Oct;134(16):1141-1148.
  18. Mayette M: Aortic stent graft leak and aneurysm rupture after alteplase for stroke.CMAJ. 2019;191(25):E709.

 

6. Impressum

Diese Guideline wurde im September 2023 aktualisiert.
© Verein mediX schweiz

Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel

Redaktion
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Maria Huber

Autoren
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Iris Hähnel

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