Verantwortlichkeit statt Vorgaben

Publiziert am 29. Oktober 2019 von Felix Huber

Gastkommentar von Felix Huber und Leander Muheim

in der NZZ vom 25. Oktober 2019

In der Debatte um die Herausforderungen im Gesundheitswesen wird immer wieder mit den sogenannten WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) argumentiert im Sinne einer faktenbasierten Rationalisierung des Gesundheitssystems.

Wir erachten es aber als nicht nachvollziehbar, dass WZW nach über zwei Jahrzehnten KVG plötzlich konsequent umgesetzt werden könnte. Das Grundmalaise unseres auf Mengenausweitung und fehlende Verantwortlichkeit gebauten Vergütungssystems wirkt ausserhalb der alternativen Versicherungsmodelle (AVM) und der koordinierten Hausarztmedizin weiter. Ein weites Feld an Behandlungen, welche seit je über das KVG abgerechnet werden, sind weder wirksam, zweckmässig noch wirtschaftlich. Eine starre Operationalisierung der medizinischen Qualität und landesweit einheitliche Behandlungsleitlinien sowie eine verbindliche, sektorielle Kostensteuerung und leistungsbezogene Pauschalen sollen es richten. Doch dieser Weg ist falsch.

Magnesium kann leitliniengetreu eingesetzt werden – oft wird es als reine Nahrungsergänzung verwendet. Ist es nun wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich? Zugelassen ist es so oder so.Teure Spritzen in die Wirbelsäule können die einzig richtige Behandlungsform für ausgewählte Bandscheibenvorfälle darstellen – aber sie können auf Basis radiologischer Scheinbefunde trotz fehlendem Nutzen zur grossangelegten Umsatzsteigerung von Spitalambulatorien missbraucht werden. Das Problem ist, dass sich die Indikationsqualität dem Aussenstehenden, bis auf wenige Ausnahmen, immer entziehen wird – egal, wie gross der administrative Kontrollapparat ist.

Wissenschaftlich fundiertes, kritisches und effizientes Vorgehen kann nicht diktiert werden. Wer glaubt, mit hölzernen Vorgaben und selektiven Operationalisierungen eine Trendwende hervorzurufen, irrt. Es führt kein Weg daran vorbei, Ärzteschaft, Patienten, aber auch Versicherer in eine Kultur der Nachhaltigkeit und Gesamtkosten-Verantwortlichkeit mit einzubeziehen.

Mit den AVM haben wir seit 1996 ein Instrument, welches diesen Ansprüchen konzeptuell gerecht wird. Verträge fordern

hier Mitverantwortlichkeit auf Ebene der Gesamtkosten und der Gesamtqualität. Etliche Studien zeigen, dass in solchen AVM

die Qualität der Medizin deutlich gesteigert und die Kosten substanziell gesenkt werden können. Es ist die beste  kostendämpfende Massnahme in der Geschichte unserer Gesundheitspolitik. Und sie ist ganzheitlich – nicht nur leistungs- und bereichsbezogen.

Die Wirksamkeit von AVM liesse sich mit einigen Korrekturen massgeblich verbessern. Dienstleister koordinierender Versorgungsmodelle brauchen dringend das Recht, sich aus Listenangeboten von Versicherern zu streichen, wenn kein Vertrag zustande kommt. Die einheitliche Finanzierung von ambulant und stationär ist überfällig und sollte nicht an den partikularinteressen der Kantone scheitern, welche mit Maximalforderungen riskieren, dass die Korrektur eines elementaren Fehlanreizes abermals vertagt wird.

Weiter sollten Prämienrabatte für AVM durch die Versicherer frei wählbar sein und über den Aspekt der Kostendeckung hinaus nicht amtlich genehmigt werden müssen: Die heutigen Rabattberechnungen sind fehleranfällig und behindern eine Weiterentwicklung innovativer Modelle.

Eine Qualitätsverbesserung und eine Effizienzsteigerung sollte dort erfolgen, wo dies wirklich möglich und nachhaltig ist. Dies funktioniert nur mit der freiwilligen Wahl und den richtigen Anreizen für Versicherte, Ärzte und Versicherer.

 

Felix Huber ist medizinischer Leiter,

Leander Muheim ist stellvertretender medizinischer Leiter von mediX Zürich.